Die Vordereifel



Geschichtliches und Wanderungen von Joseph Pesch - 1901





Das Weistum und die Waldgerechtigkeiten



Bedeutsam und aus den ortsgeschichtlichen Verhältnissen entsprungen ist die vierfache Unterscheidung derjenigen, denen von den Herren von Tomberg Waldgerechtigkeiten verliehen oder in Erbpacht gegeben worden waren, also der Waldberechtigten. Sämtliche Hofbesitzer in jenen Dorfschaften, „die Nachbaren," sind die Erben des Waldes, unberechtigt und unbeschränkt in der Benutzung desselben. Sie mögen das Holz des Waldes wie ihr unbedingtes Eigentum, „wie Weizen und Roggen, der auf ihrem Acker gewachsen ist," zu jedem Zwecke, auch zur Veräußerung gebrauchen.

Zur zweiten, nahe verwandten Klasse gehören die Anerben, oder wie sich aus den Verhandlungen über die im Jahre 1772 beabsichtigte Teilung des Waldes ergibt, die Besitzer der um jene Dorfschaften gelegenen Höfe. Der Ausdruck in lateinischen Urkunden "heredes et limitatotes" scheint dasselbe Verhältnis zu bezeichnen. Die Anerben haben sich als solche durch ihren Eid und vier Nachbarn als Eideshelfer auszuweisen. Ihre Höfe müssen eine bedeutende, die Vermutung einer alten Anlage begründende und aus dem Umfange der inneren Hofesstätte erkennbare Größe haben, eine solche nämlich, daß ein mit Mist beladener und mit drei Pferden voreinander bespannter Wagen, auf dessen mittlerem Pferde der Führer sitzt, frei in dem Hofe wenden kann. Die Anerben sind übrigens gleich den Erben berechtigt, mit einziger Ausnahme, daß sie nicht im Walde zimmern und Holz im Walde nicht verkaufen dürfen.

Auf einer wesentlich untergeordneten Stufe steht der Waldsaße, noch tiefer der Kötter. Jener hat sich in der Waldmark selbst angesiedelt; er ist nur geduldet, aber es wird noch immer gerügt, daß aus dem Walde Land und Wiese gemacht werden. Der Waldsaße muß sich gleich dem Anerben ausweisen und einen Hof besitzen, doch dieser mag kleiner sein, als der des Anerben. Die Hauptnutzung des Waldes, das Eichen und Buchenholz steht allein den Erben und Anerben zu; er muß sich mit den übrigen Nutzungen begnügen. Der Kötter endlich, der sich als solcher ebenso wie der Anerbe auszuweisen hat, darf nur mit einem Hammer trockenes Holz abschlagen, das er auf seinem Kopfe heimträgt. Selbst die grüne Weide, deren er (zum Zusammenbinden) bedürfen möchte, soll er zum Walde mitbringen.

Anerbe, Waldsaße und Kötter waren fortdauernd als nicht urberechtigt betrachtet, entstanden durch Begünstigung des Gebietsherrn, dem die Vermehrung der Feuerstellen und Bewohner gewinnbringend war. Dies führte dann endlich dahin, für alle diese Klassen eine nicht mehr zu überschreitende Zahl von 350 festzusetzen.

Nur diese wenigen Grundzüge des Waldrechtes enthält das alte Weistum, alle weitere Rechtssitte lebte in der Kunde der Beteiligten. Der ste xxx xxxxx xxxxxx xxxxx/te Verbrauch des Holzes bei steigender Betriebsamkeit, womit die Wiederanpflanzung nicht Schritt hielt, führte auf die Notwendigkeit einer Beschränkung des Nutzungsrechtes, so unwillig auch Erben und Anerben sich dazu verstanden. Zuerst kam zwischen ihnen und dem Unterherrn im Jahre 1529 eine desfällige Übereinkunft auf 24 Jahr zustande. Da sie nur wenig befolgt worden, auch die festgesetzte Zeit abgelaufen war, so führte endlich Herzog Wilhelm von Jülich. eine neue umfassende Waldordnung von 55 Artikel ein. Das Wesentliche derselben besteht in Folgendem.

Das Holzgeding zu Flamersheim ward nach dem alten Weistum nur von den Schöffen besessen, jetzt werden zur Besetzung desselben Schultheiß und Schöffen zu Flamersheim, zwei Bevollmächtigte des Landes und Unterherrn, zwei aus den beteiligten Geistlichen, zwei aus den Adligen, und zwei aus den Erben und Anerben, Zusammen 15 Personen, bestimmt (Artikel 1).

Der zweite Artikel trennt alle Rechtssachen, die de. Wald nicht betreffen, von diesem Gerichte.

Die sechs weiteren handeln von den Brüchten (=Strafe) und Förstern. An die Stelle des vierten Försters, den der Landesherr zu bestellen hatte, werden nun zwei, je von diesem und dem Unterherrn, zusammen also fünf, angeordnet.

Die Artikel 9 12 verbieten das Kohlen=, Kalk= und Waidaschbrennen, (wobei sich jedoch der Landes und Unterherr als "Herren des Waldes" das Kohlen und Kalkbrennen für den Bedarf auf ihren eigenen Häudern vorbehalten) und sie beschränken das Felgen und Radmachen im Walde auf den eigenen Gebrauch der Erben und Anerben.

Eine gleiche Beschränkung enthalten die Artikel 13 15 in Betreff der Befugnis, Gerten, Schanzen, Rahm und Bauholz zu fällen.

Töpfern und Pfannenbäckern soll kein Holz bewilligt werden, das Lohschälen soll untersagt und das Dielschneiden im Walde nur zu Notbauten auf der Hofes stätte erlaubt sein (16 - 19). Der wichtigste Zweig der Aufsicht, die Anweisung des Bauholzes ist der 8. Person, welche neben Schultheiß und Schöffen angeordnet sind, anvertraut. Sie sollen die Baubedürftigkeit an Ort und Stelle besichtigen und nach Befund das anzuweisende Holz mit dem Waldeisen am Baumstamme zeichnen. Für ihre Mühewaltung erhalten sie von dem, der das Holz empfängt, fünf Schilling für jeden Baum; überdies werden sie berechtigt, bei vollem Eichelwuchse 25, bei halbem 13 Schweine auf den Wald zu treiben (20).

Binnen 14 Tagen muß das so angewiesene Holz heimgeschafft werden (21).

Wer ausdemselben ein Gezimmer bildet und verkauft, verwirkt sein Waldrecht (23).

Wer nicht angewiesenes Holz fällt, verwirkt 5 Goldgulden Brüchte (24).

Die Erben und Anerben sollen weder Eichen noch Hauptmaibuchen, die Waldsassen und Kötter nur totes Holz zur Feuerung erhalten und auf ihrem eigenen Herd verbrauchen, nicht auswärts führen, noch verkaufen (25 - 27).

Jährlich an einem zu bestimmenden Tage sollen Erben und Anerben junge Eichen pflanzen (22).

Der Ankäufer eines Waldrechtes soll nur die Befugnis des Verkäufers in ihrer früheren Grenze und auf der Hofstätte ausüben und dieser aller ferneren Waldnutzung sich enthalten (28).

Strafbestimmungen gegen Nichtbeerbte, gegen Baumscheren und Laubstreufen (29 - 31).

Aufsicht über den Wald (32 - 35).

Der gewöhnliche Hauptgegenstand alter Weistümer, die Eichelmast, wird in unserm Waldrechte nicht erwähnt. Die zum Teil grenzlose, zum Teil durch ihre mehrfache Gliederung verwickelte Befugnis in Ansehung der Holznutzung scheint die Schöffen so sehr in Anspruch genommen zu haben, daß ihr Weistum das Nähren der Schweine als etwas weniger Belangreiches überging. Die steigende Bevölkerung und Betriebsamkeit ließ es später als notwendig erkennen, auch hier die Sitte schriftlich zu regeln. Bei vollem Eichelwuchse tritt die alte Nutzungsunbeschränktheit hervor. Jeder kann seine sämtlichen Mastschweine, die er auf seinem Hofe bezogen und für denselben bedarf, oder die er vor Mitte Mai gekauft hat, auf den Wald schicken. Bei halbem Eichelwuchse die Hälfte (36).

Nur erst, nachdem die Mastschweine den Wald wieder verlassen haben, dürfen "Baselverken, Kriemen und Beeren" jung und Zuchtschweine aufgetrieben werden (40).

Die zum Walde zuzulassenden Schweine wurden bekanntlich, um sie von unbefugten zu unterscheiden, mit dem Brandeisen bezeichnet und des Endes an eine umzäumte Stätte, die Siel genannt, zusammen getrieben. Die Hirten sollen zur Siel nur totes Holz fällen (42).

Das Schlag und Zeicheneisen waren die Urkunde für rechtmäßiges Fällen und Auftreiben, weswegen sie sorgsamer Bewahrung bedurften. Sie sollen in einer Kiste mit vier Schlüsseln verschlossen werden, wovon jeder der beiden Herren einen, die Erben den dritten, die Anerben den vierten inne haben (44).

Den Erben und Anerben würden nach wie vor die Weide oder Viehtrift im Walde, doch mit Ausnahme der Ziegen gestattet (46).

Endlich soll zur Emporrichtung des verwüsteten Waldes eine besondere Stelle zur Zucht von Eichenpflänzlingen in Zuschlag gelegt (47); Waldboden nicht mehr zu Wiesen und Land abgegeben werden (48).

Wird ein Gut durch Erbgang geteilt, soll das Waldrecht bei der Sohlstätte "Stapelhofstatt" bleiben und auf den Abspliß sich nicht ausdehnen, wie dann auch der Waldsaße, der den "Sohlplatz" besitzt, den Herrenhafer allein zahlen muß (49,50).

Die jetzt gedachte Abgabe, das Holzkorn oder der Herrenhafer, zeigt, wie der Waldsaße entstanden. Umgekehrt lehrt die neue Waldordnung von 1564, daß die Anlage einer neuen Hofesstätte, sonst von der Sol-Eigenschaft des Badens, oder von Bewilligung abhängig ist, indem der Artikel 51 vorschreibt, daß zum Baue eines Hauses, wo früher keines gestanden und keine „Hofrecht“ gewesen, kein Holz aus dem Walde gesondert werden dürfe.

In der Folgezeit wurden jedoch die Verleihungen von Waldgerechtigkeiten häufiger, und die Zahl der Waldberechtigten wuchs bis gegen 1000 an. Nun ward den älteren Koncessionarien bange, daß die zu große Vermehrung sie am Ende um den Genuß des erworbenen Rechtes bringen könne, und man bestimmte die Zahl der auswärtigen Waldberechtigten, welche in mancherlei Ortschaften, zum Teil auf mehrere Stunden umher wohnen und wozu fast alle fürstlichen Schlösser der Gegend, Klöster und Rittersitze gehörten, die,den stärkeren Holzbedarf abgerechnet, in ihren Gerechtsamen nicht einen Vorzug vor der armseligsten Hütten hatten. Diese Auswärtigen waren keinen solchen Einschränkungen wie die Bewohner des ehemaligen Prädiums unterworfen; sie konnten ihre Waldgerechtigkeiten veräußern oder auf andere Häuser legen, wenn die Waldherrn einwilligten. Bis 1794 hatten Kurpfalz und der von Dalwigk gleiche Rechte an allem, waS von Hoheit und Jurisdiktion herkam. Von den Renten des Waldes bezog der Kurfürst nur ein Drittel der von Dalwigk zwei Drittel. Ihre Beamten besorgten die Jurisdiktions und Kameralgeschäfte unter Beistand von 2 adligen Waldgrafen, 6 Waldschöffen und 6 Förstern. Alle diese wurden von den Waldherren ernannt, verschiedene aber von den Waldberechtigten vorgeschlagen. Viele Dörfer in der Nähe nahmen den Weidgang darin von den Herren von Tomberg in Erbpacht, welche in mancherlei Gegenständen, meistens Naturalien, besteht und deutlich zeigt, was ehemals das wichtigste Erzeugnis eines jeden war. Zuletzt waren über 2000 Hausbesitzer auf den Wald berechtigt. Teils wohnten dieselben in den an den Wald grenzenden, teils in andern Ortschaften, die bis fünf Stunden weit von dem Wald entfernt liegen. Die Berechtigten teilten sich nunmehr in 6 Klassen: Erben, Anerben, Totenhauer, Hammerklepper, Weidgangberechtigte, Mastberechtigte. Die Qualität und Größe der berechtigten Besitzung hatte keinen Einfluß auf den Umfang der Berechtigung. Zu den Erben gehörten die Hausbesitzer in den Ortschaften Flamersheim, Kirchheim und Palmersheim, welche ehemals das Prädium Flamersheim bildeten. Sie hatten Holz und Weideberechtigung, die aber nur auf den wirklich vorhandenen Feuerstellen haftete, nur auf das Bedürfnis beschränkt war und nicht veräußert werden konnte. Diese Berechtigten waren verpflichtet, das Holz, dessen die Herrschaft benötigte, im Wald zu fällen und abzufahren, oft nach weit entfernten Besitzungen. So mußten sie unter anderm Weinpfähle nach Kardorf, bei Waldorf im Kreise Bonn fahren. Die Anerben waren solche Berechtigte, welchen die Berechtigung von der Herrschaft als Geschenk oder gegen Zahlung oder als Erbpächtern verliehen worden war. Sie konnten die Berechtigung veräußern oder auf andere Höfe übertragen, jedoch nur mit Genehmigung der Besitzer der Herrschaft.

Zu Weidgang und Bauholz waren die Anerben nicht berechtigt, mußten vielmehr die Vergünstigung dazu besonders bei der Herrschaft nachsuchen. Die Totenhauer waren nur zu totem Brandholz, die Hammerklepper nur zu dürrem Holz berechtigt. Die Hammerklepper verschwanden bald. Die Anerben und Totenhauer waren in besonderen Orten zerstreut. Zum Weidgang berechtigt waren nicht nur die Ortschaften, deren .Feldmarken den Wald berührten, sondern auch viele entfernten, die aber zum Teil ihre Berechtigung nicht mehr benutzten, besonders weil eine Abgabe dafür entrichtet werden mußte. Mehrere Dörfer übten die Weidgangsberechtigung aus, ohne daß einer ihrer Bewohner die Waldberechtigung hatte. Alle zum Weidgang berechtigten Dörfer, selbst die drei Erbdörfer Flamersheim, Kirchheim und Palmersheim nicht ausgenommen, mußten Erbpacht für die Weidgangsberechtigung entweder im Ganzen oder für jede Feuerstelle oder für die Herde zahlen. Bei manchen Ortschaften verdoppelte sich die Erbpacht, wenn solche nicht am 1. Mai vor Sonnenuntergang gezahlt worden war. Die Erbpacht wurde nicht nur in Geld in verschiedenen Münzsorten, sondern auch in Wein, Roggen, Gerste, Hafer, Wachs, Gänsen, Hühner, Wolle, Eier, Oel, Pfeffer, Honigkuchen usw. entrichtet. Das Schloss Rheinbach mußte für die Anerbenberechtigung den Mitherrn jährlich eine gebratene Gans, eine Quantität Wein und Werg liefern. Der Pastor von Rheinbach hatte dem Kurfürsten von der Pfalz eine. gebratene Gans und halb soviel Wein und Werg, als das Schloß für die Berechtigung gab, zu entrichten. Die Mastberechtigung stand außer den Erben und Anerben nur noch der Stadt Münstereifel im Ganzen gegen eine Abgabe zu. Die drei innerhalb des Waldes gelegenen Höfe, der Leyer, der große und kleine Hocherhof, sind von den Waldherren, jener in Erbpacht, die andern beiden samt etwa 860 Morgen Ackerland und Wiese in Zeitpacht ausgetan. Alles ward wie die übrigen Renten des Waldes geteilt. Zuletzt war der von Vincke alleiniger Besitzer der zeitpächtigen Grundstücke. Ehedem verpachteten die Herren von Tomberg auch alle öden Plätze des Waldes auf drei Jahre. Dann wurde die Oberfläche verbrannt und Roggen, demnächst Hafer gesäet. Seit langer Zeit ist dieser Schiffelbau schon eingestellt.


Zurück zu Joseph Pesch: Die Vordereifel

Zurück zur Indexseite
© Copyright woengede