Die Vordereifel



Geschichtliches und Wanderungen von Joseph Pesch - 1901





Die Gerichtsbarkeiten



In der Geschichte der einzelnen Ortschaften spielen die verschiedenen Gerichtsbarkeiten eine so wichtige Rolle, daß zum besseren Verständnis eine kurze Darstellung dieser Verhältnisse für passend erscheint. Unter Gerichtsbarkeit im allgemeinen versteht man die Öffentliche Gewalt, in Kriminal- und Zivilsachen Recht zu sprechen und das Urteil zu vollziehen. Eine solche Gewalt stand ursprünglich nur dem Landesherrn zu. Später ging dieselbe durch Erbgang, Kauf, Verleihung usw. auf die Vasallen, die Großen des Reiches, die Reichsfürsten, kurz, alle jene Personen über, die in dem Besitz der gräflichen, vogteilichen und grundherrlichen Rechte gelangt waren.

Man unterscheidet eine niedere, eine Mittel- und eine Hochgerichtsbarkeit. Die niedere oder Grundgerichtsbarkeit war allemal mit der Grundherrlichkeit verbunden. Sie ist entstanden aus der Freilassung der Sklaven, die von den Herren nur unter der Bedingung gewährt wurde, daß die Freigelassenen als bleibende Grundholden (coloni) die Landgüter, zu denen sie gehörten, weiter bebauen mußten unter Entrichtung bestimmter Dienste und Gefälle an den Grundherrn. Das frühere unbeschränkte Recht des Herrn wurde durch die Freilassung zwar beschränkt; es mußte sich aber doch noch auf alle Handlungen erstrecken, die den Zweck hatten, die Grundgüter in ihrem Bestande zu erhalten und die Einkünfte des Grundherrn sicher zu stellen.

Daher dehnte sich diese Berechtigung oder Gerichtsbarkeit aus auf die Sorge über Äcker und Wiesen, auf Regulierung der Grenzmarken, Verhütung und Rüge der Feldschäden, Verschreibung von Hypotheken, Entscheidung der Rechtsstreitigkeiten über Grundgut. Der Grundherr hatte daher auch die Feldpolizei zu handhaben, Feld- und Forsthüter anzustellen usw. In den meisten Fällen waren die grundherrlichen Rechte im einzelnen genau festgelegt.

Die Mittel- oder Zivilgerichtsbarkeit, auch Vogt = Gerichtsbarkeit genannt, hat es mit der Entscheidung bürgerlicher Streitigkeiten und geringer Vergehen zu tun. Man unterschied sie wieder in eine streitige, welche streitige bürgerliche Rechtsachen zum Gegenstand hatte und eine freiwillige, welche zur Begründung, Verbriefung, Erhaltung oder Sicherstellung unbestrittener Rechte einzelner in Anspruch genommen wurde, z. B. Vormundschaftssachen, Aufstellungen von Testamenten, Versetzungen von Ländereien usw. Auch bei schweren Verbrechen hatte der Vogtherr die Untersuchung zu führen und dem Missetäter zu verwahren, bis er vor das Hochgericht gestellt wurde.

Die Hochgerichtsbarkeit, Kriminal- oder Strafgerichtsbarkeit umfaßte außer dem ihr ausschließlich zustehenden Rechte, Todesurteile zu erlassen und zu vollstrecken, "alle Herrlichkeit", soweit sie nicht bereits nach Vertrag oder Gewohnheit von dem Grund- und Vogtherrn ausgeübt wurde.

Infolge des Lehnswesens wurden die verschiedenen Gerichtsbarkeiten bald dort zu Lehen übertragen oder in Vergleichen an geistliche Korporationen überlassen, sodaß der Inhaber der Landeshoheit bei weitem nicht mehr alle Gerichtsbarkeiten in seinem Territorium ausübte. Außerdem besaßen öfters Ritterfamilien oder Klöster in der Mitte eines größeren Territoriums eine kleine Reichsherrschaft, mit welcher der Besitz aller Gerichtsbarkeiten verbunden war. Auf diese Weise ergab sich in unserem Gebiete eine wunderliche Verteilung von Territorial- und Gerichtsbarkeitsverhältnissen, wie sie kaum unregelmäßiger gedacht werden kann.

Zu Arloff waren einige Güter unter der Grundgerichtsbarkeit des Herzogs Jülich, andere unter der des Stiftes Münstereifel. Der Jülich'sche Anteil an dem sonst kurkölnischen Orte bestand aus der Mühle, einigen Häusern und 51 in der Gemarkung zerstreuten Grundstücken. Wegen der Landeshoheit über die herzoglichen Güter war Streit zwischen Jülich und Kurköln.

Zu Kirchheim waren zwei Pfarrkirchen, St. Nikolaus und St. Lambert. Letztere stand unter dem Patronat und der Hoheit des Herzogs von Jülich, ebenso alle Güter, welche zu dieser Kirche den Zehnten gaben. Daß dieselben in der Gemarkung zerstreut lagen, geht aus den Bestimmungen des Weistums von Kuchenheim über die Abführung der auf Jülicher Gütern verhafteten Missetäter hervor. Die Häuser (zu Jülich gehörten zur Zeit des Weistums 13 Hofstätten) scheinen nach demselben Weistum in eine Kölnische und Jülich'sche Straße abgeteilt gewesen zu sein. Kurköln, das den größten Teil des Ortes, der zur Pfarrei St. Nikolaus gehörte, besaß, machte Anspruch auf die Landeshoheit, auch über die zu Jülich gehörigen Güter.

In der Herrschaft Antweiler waren die Abtei Dietkirchen in Bonn und daneben die Abtei Deutz im Besitze der Grundherrschaft. Die höhere Gerichtsbarkeit und Strafgewalt lag in den Händen eines adligen Erbvogtes. Die Dietkirchener Vogtei wurde im Anfang des 17. Jahrhunderts vom Kurfürsten von Köln erworben. Mit der Oberburg war die Deutz'sche Erbvogtei verbunden, die jedoch 1716 an die Besitzer der Niederburg kam. Im Anfange des 16. Jahrhunderts war die Erbvogtei von der Familie von Metternich an die von Ahr gekommen, später besaßen dieselbe die von Eynatten, darauf die von Reux, dann die von Lapp, schließlich die Freiherrn von Solemacher. Satzvey war wie Antweiler eine Besitzung der Abtei Dietkirchen, nach den Weistümern hatte die Äbtissin dem Vogt nicht alle Befugnisse der höheren Gerichtsbarkeit ganz überlassen. Ihr wurden auch alle „geweldliche Sachen" zugewiesen, doch hatte der Vogt die Ausführung der Strafurteile und die Schutzpflicht. Diese Vogtei war seit dem 16. Jahrhundert im Besitz der Frhrn. Spieß von Büllersheim, von denen sie gegen Anfang des 18. Jahrhundert an die Frhrn. von Gymnich zu Gymnich überging. Die Landeshoheit über die sieben Herrschaften Antweiler, Breitenbenden, Firmenich, Glehn, Harzheim, Holzheim, Satzvey war strittig zwischen Jülich und Kurköln. Es kam zwar 1774 am 16. Juli zu Poppelsdorf ein Vergleich zwischen dem Kurfürsten Klemens August und Karl Theodor zustande, durch welchen bestimmt wurde, daß Holzheim und Breitenbenden worauf Kurtrier das direkte und die Grafen von Manderscheid das nutzbare Eigentum behaupteten, sowie Firmenich, worauf der brabantische Lehnhof Ansprüche machte, vorläufig neutral bleiben und für beide Kontrahenten gleichmäßig besteuert werden sollten, daß aber von den vier übrigen Orten Antweiler und Harzheim dem Erzstiftkölnischen Gebiete, Glehn und Satzvey dem Jülich'schen Territorium einverleibt sein sollte. Diese Bestimmungen gelangten jedoch nie zur wirklichen Ausführung. Im Jahre 1190 wird auch die Vogtei von Wachendorf erwähnt.

Ein Hochgericht bestand bis zum Ausbruch der französischen Revolution auf der Hardtburg, ein ebensolches in Arloff. Der sog. Vogtshof in Kirchheim, ein altehrwürdiger, Stattlicher Bau mit dazu gehörendem Gartenhaus, erinnert noch an die Zeit der durch den Vogt auszuführenden Gerichtsbarkeit.

Das Gerichtswesen, wie es sich unter den Franken gestaltete, hat sich Jahrhunderte lang erhalten, und noch im 18. Jahrhundert zeigen sich Spuren mancher Gebräuche und Formalitäten, mit denen die gerichtlichen Verhandlungen des Mittelalters ausgeschmückt waren. Im allgemeinen war die fränkische Gerichtsverfassung sehr einfach und klar. Oberster Richter war der König. Er übte die Gerichtsgewalt oder den Blutbann durch die Grafen oder die ihre Stelle einnehmenden Landesherren. Der Graf als kaiserlicher Richter hielt in den ältesten Zeiten persönlich, später durch Stellvertreter das Gauding, (Ding = Versammlung, Gerichtssitzung) Landding, Grafending, gewöhnlich dreimal im Jahre ab. Zu den regelmäßigen Gerichtsterminen erschien der Gerichtsherr und führte den Vorsitz, Beisitzer des Grafen waren die Schöffen, ältere erfahrene Männer freier Geburt. Zu diesen Gaudingen erschienen alle freien Männer des Gaues. Die Gerichtssitzungen wurden an bestimmten Tagen (ungebotene Dinge) unter freiem Himmel und zwar an Orten abgehalten, die durch hohe Bäume, besonders Linden und Eichen, große Steine, Erdhügel usw. bezeichnet waren. Eine solche Gerichtsstätte hieß Mal, Malberg, Malstatt. In Flamersheim war das Gerichtsmal ein gewaltiger Steinblock, (der Rabenstein) der jetzt, nur noch mit einem kleinen Teile aus der Erde ragend, auf dem Platz vor der kath. Kirche daselbst sichtbar ist. In unmittelbarer Nähe hat auch das alte Gedinghaus mit seinem Gefängnisse gestanden. Auch das Schöffenhaus zu Arloff ist 1852 vernichtet worden. Zum Dingstuhl von Arloff gehörten Weingarten und Rheder. Gerichtsprotokolle desselben aus dem 17. Jahrhundert befinden sich im Besitze des Lehrers Kaspers von Arloff. Das Pfarrarchiv in Scheuren bewahrt solche von 1567 - 1608. Jedoch ein klares Bild des älteren Gerichtswesens zu geben, ist äußerst schwierig. Zug für Zug desselben zu schildern, liegt aber auch außerhalb unserer Aufgabe. Wir begnügen uns nur mit einigen wesentlichen Angaben.

War der Verbrecher durch Geständnis oder durch Zeugen der Tat überwiesen, so erfolgte die Verurteilung und gewöhnlich auch die Vollstreckung der Strafe sofort. Es gab drei Arten von Strafen: an Vermögen, an Leib und Leben und an Ehre und Recht. Die höchste Vermögensstrafe war Gütereinziehung. Grausam war die Körperstrafe: Hängen, Ersticken in Schlamm, Rädern, Ertränken mit einem Stein am Halse . Auch Rute und Prügel kamen in Anwendung, Blendung, Nasenabschneiden, Handabhauen. Strafen beschimpfender oder lächerlicher Art waren Haarabschneiden, Hundetragen, Rückwärtsreiten auf dem Esel. In Kirchsahr wurden geringere Vergehen mit der "Käcks" bestraft, einem Schandpfahl, der sich gegenüber der Kirche auf der linken Seite des Sahrbaches befand. Jetzt zieht sich eine Kegelbahn über jene Stelle hin. In Kirchsahr, damals kurzweg "Sahr" genannt, übte das Stift Münstereifel die niedere Gerichtsbarkeit aus, da es auch den dortigen Zehnten bezog. Am 3. November 1766 war beschlossen worden, "daß am ersten Montag jedes Monate die in Sahr sich äußernden Klagen und Streitigkeiten examinieret, erfindenden und erfordernfalls abgemacht werden sollten."

Aus einer Urkunde des Jahres 1166 erfahren wir, daß damals Kirspenich unter Gerichtsbarkeit des Grafen Ulrich von Are gestanden, dessen Vogt Heribert von Hengebach (Heimbach) samt dem Schultheiß Folwinus bei der Abfassung jener Urkunde zugegen waren. Später sind Arloff und Kirspenich unter die Gerichtsbarkeit des Amtes Hardt gekommen. Die ältesten Verhandlungen desselben datieren von 1500. Als Lehnsherrschaft hatte das Stift zu Münstereifel das Präsentationsrecht der Schöffen, brachte also auch den von Weingarten in Vorschlag. Von Seiten des Amtmannes erfolgte sodann die Ernennung. Bei diesen Neuwahlen hatte aber das Stift die Pflicht, zwei Tage den Schöffenrat zu "traktieren". Am dritten Tage mußte dagegen der Neuerwählte das Traktament stellen, bei welchem sich auch noch die zwei Abgesandten des Kapitels beteiligten. Außerdem, daß einmal jährlich oder nach Umständen seltener der Amtmann oder der Amtsverwalter auf dem Dingstuhle erschien und Hochherrngericht hielt, hatte der Schultheiß mit dem Schöffenrat die Einschreibung der Kauf = Tausch- und Erbakten, die Handhabung der niedern Rechtspflege und Polizei u. dergl., wobei aber das Standgericht (Pfarrer und Kirchenmeister) mitunter tätig war. Der letzte Akt des Schöffengerichtes zu Arloff ist vom 20. März 1797.

Das Recht war großenteils ein ungeschriebenes und beruhte auf Gewohnheit. Die Schöffen mußten der Rechtsgewohnheiten kundig sein, damit sie das Recht weisen konnten. ("Weistümer", die die wichtigsten Rechtsdenkmäler dieser Zeit bilden).

An einzelnen Orten unseres Gebietes ward die Gerichtsbarkeit bei den Vogteigerichten ausgeübt. Hier saßen die Vögte innerhalb des Bezirkes ihrer Gerichtsbarkeit an bestimmten Tagen zu Gericht. Zeugenaussagen und erwiesener Besitzstand waren die Entscheidungsgründe. Eine solche Gerichtssitzung hieß Vogtgeding und die Abgabe an den Vogt, für die Leitung der Verhandlung, Vogtdienst. Diese Abgabe mußte ihm auf den Gerichtsstuhl hingelegt werden.

Die Errichtung der Vogteien entsprang dem Bedürfnis der Bischöfe, wie überhaupt allen Geistlichen an Stiften oder Klöstern, die mit den weltlichen Händeln nichts zu schaffen haben wollten, bei vorkommenden Händeln durch Schutz- und Schirmvögte vertreten zu werden. Sie waren Mittelspersonen für die unvermeidlichen Kollisionen, in welche die Kirche als Herrin weltlicher Gebiete und Leute mit dem weltlichen Rechte geriet. Ihre Pflicht bestand darin, daß sie die Kirche gegen Ungebühr mit bewaffneter Macht verteidigten, ihre und ihrer Untertanen Rechte vor den weltlichen Gerichten vertraten und die kirchlichen Vasallen in Fehdezeiten abführten. Dafür genossen sie seitens der Kirche eine gewisse Auszeichnung, übten innerhalb der herrschaftlichen Besitzungen der Kirche die derselben zustehende Gerichtsbarkeit aus und bezogen aus den Einkünften derselben eine entsprechende Besoldung. Das Recht, die Vögte zu ernennen, stand zunächst den Bischöfen bzw. den Äbten zu. Zuweilen behielten sich die Stifter von Klöstern das Vogteirecht für ihre Familie vor, sodaß es immer auf den Erstgeborenen überging. Manche Kirchen hatten das Recht, sich selber einen Vogt zu wählen, andere wieder erbaten sich die Ernennung vom Könige. Aber nicht nur bei Kirchen und Klöstern, sondern auch bei vielen größeren Hofgütern waren Vogteien eingerichtet, ja sogar auch Privatpersonen hatten ihre Vögte, deren Einwilligung bei Schenkungen und Verträgen sie einholten. Nach und nach ward aus der wohltätigen Einrichtung der Vogteien eine schlimme Zuchtrute. Im 11. und 12. Jahrhundert kamen sie ganz in Abnahme.



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