Der Tanzberg
Eine Eifeler Sage.

In den letzten Wochen wurde in der Tagespresse mehrmals die seltsame Erscheinung des sinkenden Berges bei Dollendorf in der Eifel besprochen. Etwa eine viertel Stunde von Dollendorf entfernt zwischen dem Dorfe und dem Rittergute Vellnerhof liegt ein langgestreckter Bergrücken, „die Höhe“ genannt. Das nördliche Ende desselben wird gekrönt von den Ruinen der Dollendorfer Burg. Das andere Ende ist der Eifertsberg. Zwischen beiden befindet sich in etwa ¾ Kilometer Länge die Bergrückensenkung. Die Sage bemächtigte sich dieser eigenartig sich stetig weiter vertiefenden Mulde und erzählt von altrömischen unterirdischen Hohlräumen und Gängen, sogenannten Katakomben, zumal Dollendorf zur Römerzeit bestanden und ein starkes römisches Kastell besessen haben soll.

Eine ähnliche muldenförmige Erdsenkung größeren Ausmaßes findet man in dem bleierzhaltigen Höhenzuge zwischen Keldenich und Dottel im Kreise Schleiden, dem sogen. Tanzberg. Auch hier hat der Volksmund die seltsame Oberflächenbildung, die von Berg-Sachverständigen auf die Erzgewinnung im Tagbau in früherer Zeit zurückgeführt wird, mit einer Sage umwoben und führt die Entstehung der Mulde auf ein großes Bergwerksunglück zurück.

Vor vielen 100 Jahren wohnten im Erdinnern in Felsspalten und Höhlen Erdgeister. Große Schätze von Gold und Silber nannten sie ihr eigen. In dem Berge zwischen Keldenich und Dottel zog sich das edle Metall in dicken Adern unter der Erde hin, von den Zwergen mit großer Sorgfalt bewacht. Aber die klugen Menschen hatten bald entdeckt, was der Boden barg. Und mit großem Fleiße trieben sie tiefe Schächte und Stollen in das Berginnere. Die Ausbeute an edlem Metall schien so unermeßlich und machte so wenig Mühe, daß ein Bergmann eher einen Malter Korn durch Erzschürfungen verdient, bevor der Müller ein solches gemahlen hatte. Da der Reichtum mit so leichter Mühe den Bergleuten in den Schoß fiel, wurden sie übermütig und üppig. Sie richteten unten im Berge Tanzsäle ein und feierten große Feste. Tag und Nacht hielten sie Zechgelage mit den Weibern. Auf den Kegelbahnen warfen sie mit Broten und Käse. Über all dies waren die Erdgeister fürchterlich erzürnt, und grausig dröhnten ihre Donnerstimmen durch das Gebirge. Niemand achtete darauf. Da nahm die Rache ihren Fortgang. Eines Nachts, als nach getaner Arbeit wieder die Bergleute mit den Dirnen unter rauschender Musik in den unterirdischen Räumen den Lüsten frönten, stürzte plötzlich das Gewölbe ein, und das stürzende Gebirge begrub sie alle samt ihren Schätzen. Ein einziger Knappe, der sich verspätet hatte und so dem Unglück entgangen war, konnte der Nachbarschaft Kunde bringen von dem schauerlichen Unglück. Obschon die Bergknappen der Umgegend mit Eisen und Schlägel, Schaufel und Haue den verschütteten Kameraden zu Hilfe eilen wollten, niemals ist es gelungen, den Ort, wo geiler Lust und frevlem Spiel ein so jähes Ende bereitet wurde, wieder aufzufinden, berichtet die Sage. Ob und wieweit sie Anspruch auf Wahrheit hat, lassen wir dahingestellt. Merkwürdig ist, daß am Feste Christi-Himmelfahrt, wenn die Segensprozession die Fluren durchwandert, von altersher bis auf den heutigen Tag die Teilnehmer an beiden Seiten der Erdsenkung niederknien und fünf Vater unser für die Verunglückten beten.

Aus: Unsere Heimat, Beilage zum Euskirchener Volksblatt, 4. Jahrgang, Nr. 13, 1927, S. 117 und 118.

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