Eine Römische Kalkfabrik

Von Sigrid Sölter


Wenn man Kreuzweingarten auf der B 51 in südlicher Richtung auf Münstereifel zu verläßt, sieht man rechts zuerst Acker- und Weideland.

Vor der Ortschaft Iversheim steigt das Gelände dann steil an und eine hervorspringende Felsnase :wird "Dicke oder Hohe Ley" genannt.

Jedes Kind in der Umgebung lernt in der Schule, daß die Gegend um Iversheim reich an Kalkvorkommen ist. Und daß es am Hang Kalksteinbrüche gegeben hat, deren Fels gebrannt wurde, wissen noch manche betagten Iversheimer Bürger zu berichten. Daß aber bereits zur Römerzeit in Iversheim dort am Hang Kalk gebrannt wurde, und zwar in riesigem Umfange in echten Kalkfabriken, die selbst wahrscheinlich Kalk bis in die entfernt bei Xanten gelegene Colonia Ulpia Traiana lieferten, das weiß man erst genau, seit die inzwischen mitten durch die archäologische Baustelle führende Wasserleitung neben den Bahngleisen verlegt worden ist. Als der Graben für diese Wasserleitung ausgeschachtet wurde, stieß man auf unterirdische Gemäuer.

Es bemerkte Toni Hürten, der kundige und verdiente Heimatpfleger des Kreises, der mit sicherem Blick die Wichtigkeit des Fundes erfaßte und seine Eindrücke so eindringlich an das Rheinische Landesmuseum Bonn I Landschaftsverband Rheinland weitergab, daß unmittelbar darauf mit den Ausgrabungen begonnen wurde.

In einer Zeit von drei Grabungsperioden wurden ein fast 1000 qm großes Gelände freigelegt und ungefähr 3000 cbm Erde bewegt. Eine 40 m lange Fabrik, im 3. Jahrhundert n. Chr. dreimal um- und wiederaufgebaut, umfaßt sechs Kalköfen, deren Schnauzen zur Straße hinweisen. Diese Öfen haben die Form von sich nach unten verjüngenden riesigen Kannen, in deren Mitte sich kniehoch eine einzige Öffnung befindet, in die das in der Erftniederung geschlagene Weide- und Pappelholz als Brennmaterial eingefüllt wurde. Von der anderen, dem antiken Steinbruch zugewandten Seite wurde 2 m höher der gebrochene Dolomit (Kalkstein mit Magnesiumgehalt) in die Öfen eingebracht und nach dem Brennprozeß als Stückkalk hier wieder aus den Öfen entnommen, über eine Rampe verladen und hangabwärts transportiert. Nach oben waren die Öfen offen. Nur ein Loch also in halber Ofenhöhe diente sowohl als Befeuerungs- wie auch als Zug loch.

Die „römische Kalkfabrik“ bei Iversheim


Diese ungewöhnliche Art der Ofentechnik erschien den in Iversheim tätigen Archäologen und auch Brenn-Experten der Kalkindustrie so unwahrscheinlich, daß erst der Brennversuch an einem Kalkofenmodell aufgrund des bloßen Befundes sie davon überzeugen konnte, daß tatsächlich die römischen Öfen in Iversheim ohne besonderes Zugloch auf der Ofensohle in Brand gesetzt werden konnten. Analysen der Glasuren des Ofeninneren haben ergeben, daß in diesen Öfen eine Temperatur von etwa 900 º C geherrscht hat, und aus der Anzahl der Öfen kann man schließen, daß jeweils ein Ofen mit Kalkstein gefüllt wurde, der nächste entleert wurde und die übrigen langsam erkalteten.

Aber nicht nur über das Produkt der Arbeit haben die Iversheimer Ausgrabungen Aufschluß ergeben, sondern sie lassen auch Aufschlüsse über die Lebensweise der dort beschäftigten Arbeiter zu. Innerhalb des Fabrikbezirkes hat man Weihesteine gefunden, die die in Iversheim beschäftigten Römer ihren Göttern weihten, und zwar zeichnen sie als Angehörige der 30. Legion, jener siegreichen, die im 3. Jahrhundert n. Chr. in Xanten im Legionslager Vetera II stationiert war. Arbeitskommandos dieser Legion haben bei Iversheim in den Brüchen und an den Öfen geschwitzt. Aber nicht nur Denkmäler römischer Götterverehrung kamen in Iversheim zutage, auch für das notwendige leibliche Wohl an der Arbeitsstelle war gesorgt: Neben der Fabrik befindet sich ein Backraum mit Backofen, der mit den Ascheresten der Kalköfen beheizt wurde und die Nahrung der Legionäre sicherstellte.

Dicht daneben hat man einen Raum mit einer Feuerstelle gefunden, in der die Kalkbrenner ihr Brot verzehrten, ihren Durst löschten, sich vor Regen und Kälte schützten und sich an dem Feuer bei Nacht und Kälte wärmten. Denn die Öfen brannten Tag und Nacht und mußten laufend beheizt werden. Daß das Leben der Römer vor den störenden und vernichtenden Einfällen der Franken um 275 n. Chr. nicht nur von Arbeit, Dienstleistung und Kriegführung bestimmt war, sondern neben den religiösen Pflichten auch Luxus und Wohlleben in einer Fabrik Platz fanden, zeigten die am Fuß der Kalköfen ausgegrabenen Aufenthaltsräume, die mit bunten Malereien aus geschmackvollem, üppigen Pflanzenwerk verziert sind.

Ganz besonders wertvoll neben diesen Funden ist die Tatsache, daß die Ausgräber in einem der Öfen noch das Brennmaterial und die gesamte Kalkfüllung vorfanden, so daß es möglich sein wird, an Hand dieser Verfüllung in einem der Original-Öfen den gesamten Arbeitsprozeß des Kalkbrennens nach Römerart nachzuvollziehen, und man sich aus eigener Anschauung über die Arbeitsweise ein Bild machen kann, das naturgemäß immer wahrheitsgetreuer sein wird als die kühnste archäologische Phantasie. Bedeutungsvoll ist aber nicht nur, daß nachvollziehbare und damit sichere Erkenntnisse erlangt werden - das mag ein besonderer archäologischer Glücksfall sein - bedeutungsvoll ist allein schon die Tatsache, daß hier die Anfänge der Industrie freigelegt werden konnten; denn nichts ist seltener als Dokumente der täglichen Arbeit aus so früher Zeit.


Blick in die römischen Kalköfen


Freigelegt haben die Archäologen nur eine Fabrik mit den Anbauten, die sich weiter unter den Bahnkörper erstrecken. Von insgesamt vier römischen Kalkfabriken entlang am Hang der "Dicken Ley" aber wissen sie inzwischen mit Sicherheit. Sie vermuten sogar, daß ein Dutzend Fabriken vorhanden gewesen sein können. Eine regelrechte Kalkindustrie von größerem Ausmaß also hat im 3. Jahrhundert n. Chr. bei Iversheim bestanden. Über eine Straße am Fuß des Hanges, etwa unter der B 51 und vielleicht auch auf der Erft erfolgte der Abtransport des Baukalkes allenthalben an die großen Baustellen im römischen Rheinland. Jenseits der Straße, den Fabriken gegenüber, lag das Arbeitslager, in dem die militärischen Arbeitskommandos untergebracht waren. Chef einer Kalkfabrik war der "Kalk-Magister", wie er auf einem Weihestein bezeugt ist.


Foto: Kreuzweingarten - Rheder - Kalkar 1977 / 2. Auflage


Daß die Iversheimer Kalkfabrik mit der Bedeutung ihrer Funde, dem für rheinische Verhältnisse guten Erhaltungszustand und ihrer Außergewöhnlichkeit bereits im Ausland beachtet wird, beweist der kürzliche Besuch eines französischen Geophysiker-Ehepaares, beide Professoren an der Pariser Sorbonne, die an Hand ihrer erdmagnetischen Messungen von gebranntem Gestein sicheren Aufschluß über die zeitliche Einordnung der Fundobjekte geben können und so die geisteswissenschaftlichen Ergebnisse der Archäologie naturwissenschaftlich untermauern.

Karl Gissinger gibt schon 1902 in seinem ausführlichen Bericht über "Belgica vicus" an: "Ein Legat der 1. Minervischen Legion, Castinus, errichtete bei dem nahen Iversheim einen Feldofen."

Rudolf Pörtner berichtet in seinem Buch "Mit dem Fahrstuhl in die Römerzeit": " Überhaupt scheint die Eifel der wichtigste Erzlieferant der Germania Romana gewesen Zu sein. Noch steckt die archäologische Arbeit - die uns die Bedeutung dieser Erzprovinz einmal klarmachen soll - in den Anfängen, bekannt sind jedoch die Brauneisenvorkommen bei Arloff, Iversheim und Nideggen, die im Tagebau ausgebeutet wurden."

Wir können hinzufügen, daß auf dem südlichen Münsterberg in Kreuzweingarten (Grube Jakob Bohnen) in den letzten Jahren beim Sandabbau Aschenschichten festgestellt wurden, die Metallschlacken enthielten. Dieser Befund läßt nach W. Haberey auf Metallgewinnung schließen.


Entnommen: Kreuzweingarten - Rheder - Kalkar, 1969, Zeitbiografischer Verlag, Kreuzweingarten


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