Die fränkische Zeit

Von Dr. Johannes Krudewig, Archivar, Köln
Euskirchen 1921




Nach der Unterdrückung des Aufstandes des Civilis (69 - 70 nach Christus) behaupteten die Römer mit fester Hand drei Jahrhunderte hindurch mittels ihrer Befestigungen (des Grenzwalles und vieler einzelnen Castelle) und ihrer Legionen ihre Herrschaft auf dem linken Rheinufer, und am Oberrhein in einem breiten, am Mittel- und Niederrhein in einem schmalen Streifen des rechten Rheinufers. Aber gerade diese stramme Abwehr aller Völkerschaften des inneren Deutschlands veranlaßte diese, da nun doch schließlich ihre immer zunehmende Zahl bei dem Mangel aller rodung in dem eingeengten Gebiete nicht mehr die hinreichende Nahrung finden konnte, sich zu größeren Völkervereinen zusammenzutun, um so eher im Stande zu sein, mit germanischen Bärentrutz die römischen Adler vom Rheine zu verjagen. Neue Gesamtnamen treten auf: Franken, Alamannen, Sachsen. Der ersteren Name erscheint zuerst um 240 bei Vop. Aurel. 7.; auch auf der Peutingerschen Tafel steht er für das rechte Rheinufer verzeichnet. Die Hauptteilvölker der Franken sind: die Sigambrer, die Ampsivarier und die Chatten. Die Sigambrer hatten lange nördlich von dem Ubiergebiet rechts und links vom Rheine gesessen; im Jahre 290 nehmen sie die Insel der romanisierten Bataver zwischen Waal und Rhein in Besitz, und erhalten nun außer ihren alten Namen 1) den der Salier 2) oder salischen Franken. Die Ampsivarier, welche keineswegs, wie bei Tac, ann. 13, 55 u. 56 erzählt wird, schon im ersten christlichen Jahrhundert alle vernichtet worden waren, näherten sich vom Norden her zwischen Sachsen und Saliern dem Rheine; sie verlieren dort bald den alten Namen und heißen nun Ripuarier (Ripuarier = Uferbewohner?) oder ripuarische Franken. 3)

Die Chatten, das einzige Volk Deutschlands, welches noch heute dasselbe Gebiet - um die Fulda und die Werra - inne hat, in welches sie bereits zu des Drusus und Germanicus Zeiten saßen, waren der dritte Hauptstamm, der zum Frankenbunde gehörte. Auch dieser setzte sich in Bewegung nach Süden und Westen, ohne jedoch das Stammland zu verlassen. Bereits 240 setzen Franken (Chatten?) über den Rhein, plündern in Gallien und werden dann bei Mainz geschlagen und zurückgetrieben. 264 dringt ein Frankenheer über den Rhein durch Gallien bis Spanien vor. 280 fährt eine Frankenschar, die sich von Probus in der Nähe des Marmarameeres hatte ansiedeln lassen, zu Schiff durch das Mittelmeer und den atlantischen Ocean, überall an den Küsten raubend und plündernd, zurück in die nordische Heimat. 350 zerstören Franken - ohne Zweifel Ampsivarier - Köln und die sämtlichen römischen Castelle am Mittel- und Niederrhein, nur ein Turm bei der genannten Stadt und Remagen widerstehen ihrem Ansturm. Zwar werden sie von Julian gezüchtigt und zurückgedrängt, aber 388 sind sie wieder da und zerstören nochmals die römische Colonia. Freilich auch dieses Mal endete ihr Vordringen mit Niederlagen und Rückzug: Arbogast, selbst ein Franke, aber in römischen Diensten, schlug sie gegen 392, und der Vandale Stilicho, der Statthalter Westroms, sicherte 396 zum letzten Male den Rhein als Grenze des römischen Reiches.


Der zweite Völkerbund, der am Rheine seine Macht zur Geltung brachte, war derjenige der Alamannen; ihren Kern bildeten wohl die Semnonen des Tacitus. Ihre Kämpfe und Züge vom Jahre 213 bis zum Jahre 407 kommen hier nicht in Betracht. Als 407 von Osten her die Vandalen, Alanen, Sueben und Burgunder heranrückten, zog ein großer Teil der Franken und Alamannen mit jenen fremden Völkern über den Rhein, und siedelte sich, während die letzteren weiter nach Süden und Südwesten zogen, dauernd an. Die salischen Franken zogen über Waal und Maas die Schelde hinauf bis in das heutige nördliche Frankreich hinein. Die ripuarischen und chattischen Franken sowie die Alamannen verbreiteten sich längs den Ufern des Rheines, im allgemeinen ihren alten linksrheinischen Wohnsitzen gegenüber, die Alamannen namentlich im Elsaß und in der Pfalz, die Ripuarier zwischen Rhein und Maas, namentlich in dem ehemaligen Untergermanien, die Chatten endlich, vielleicht in geringerer Anzahl, zu beiden Seiten der unteren und mittleren Mosel.


Auf die Frage nach einer genaueren Bestimmung der von den genannten Stämmen damals oder auch noch später eingenommenen Sitze bringen die schriftlichen Denkmale jener Zeit nur sehr unbefriedigende, nicht zusammenhängende Antworten. Die für uns interessanteste dieser Nachrichten gibt uns Gregor v. Tours II, 37, wo er den Sieg Chlodwigs über die Westgoten bei Vouglé (im Jahre 507) erzählt und bei dieser Gelegenheit hinzufügt: „Derselbe hatte zu seiner Hülfe bei sich den Sohn Sigiberts des Lahmen, namens Chloderich; dieser Sigibert war in einem Kampfe gegen die Alamannen bei der Stadt Zülpich (apud Tulbiacense Oppidum) am Kniegelenk verwundet worden, weswegen er hinkte.“ Wann die hier erwähnte Schlacht stattfand, wissen wir nicht; jedenfalls vor 496. In diesem Jahre nämlich fand, wie aus dem Glückwunschschreiben hervorgeht, welches der Bischof Avitus von Vienne im Winter 496/7 an Chlodwig zu dessen Bekehrung gerichtet hat, der große entscheidende Sieg Chlodwigs über die Alamannen statt, welcher zu der genannten Bekehrung die Veranlassung bildete. Diese letztgenannte Schlacht ist nämlich keineswegs dieselbe wie die bei Zülpich; denn einerseits wird sie von Gregor an einer anderen Stelle (II, 30) erzählt ohne Erwähnung des Ortes und Sigiberts; dann aber wird über dieselbe berichtet in der vita s. Vedasti c. II u. III, und zwar ist Chlodwig im Kriege gegen die Alamannen im Begriffe, den Rhein zu überschreiten, und nachdem er dann die sich ihm entgegenstellenden Feinde unter Anrufung des Gottes seiner christl. Gemahlin Chlotilde besiegt hat, eilt er über Toul nach Granipont bei Rilly an der Aisne und weiter nach Reims, um sich hier taufen zu lassen. 4)


Beim Einbruch der Franken leisteten die verhältnismäßig wenigen und durch römisches Wesen vielleicht verweichlichten Bewohner unserer Gegend wohl nur geringen Widerstand und ergaben sich in ihr Schicksal, während die Sieger dieselben mit Geringschätzung behandelten, aber weiter nicht belästigten. Natürlich wirkte die fremde gewaltsame Einwanderung der wilden und heidnischen Franken auch störend auf die kulturelle und religiöse Entwicklung. 5) Recht und schlecht richteten die Franken sich auf den Trümmern der römischen Kultur und Zivilisation ein; sie kannten keine andere Beschäftigung als Krieg, Jagd und Ackerbau, keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen Stadt und Land. „Die größern und besser gelegenen Ortschaften des eroberten Landes nahm der Frankenkönig für sich in Besitz; von dem Reste eignete sich der freie Franke soviel zu, als ihm beliebte, sein Stammeshaupt ihm beließ und der fränkische Nachbar ihm nicht streitig machte. Am liebsten wählte er die Hochebene der Eifel, der Ardennen und des Hunsrückens, die Schluchten des Soon- und Hochwaldes, deren Anblick und Klima ihm am lebendigsten die rauhen Waldhügel und Wiesenbäche seiner rechtsrheinischen Heimat im Westerwalde, an der Sieg und im Sauerlande in's Gedächtnis zurückriefen. Dort in Wald und Wiese siedelte sich der fränkische Krieger mit Weib und Kind, mitgebrachtem germanischen Gesinde und gallischen Kriegsgefangenen unter der übrig gebliebenen alten Bevölkerung an, möglichst geschieden vom Stammesgenossen, mit dem man sich nur zum Kampf und Gericht vereinigte, aber noch entfernter von den Resten der verhaßten römischen Kultur, die sich in den Städten und größeren Orten erhalten haben mochte. Sehr gefiel ihm die Nachbarschaft der Wälder, wo Jagd den Ersatz für den Krieg gewährte; doch wurden auch schon die vorhandenen Villen, Dörfer und Weiler der früheren Bevölkerung nicht verschmäht.“ 6)


Wenn man auch annehmen kann, daß die heidnischen Franken die vorgefundenen Errungenschaften des Christentums größtenteils vernichteten, so werden diese ungestümen, aber auch unverdorbenen Naturkinder dem erneuten unablässigen Andrang der christlichen Heilslehre vom „Friedekinde Gottes und von den zwölf weisen Männern, die der Sohn Gottes sich selbst erkor aus den Scharen der Völker, und die in Mannentreue ihm dienten“, wie es im Heliand heißt, nicht lange widerstanden haben. Diese Annahme wird bestätigt dadurch, daß sich bereits 472 der fränkische Graf Arbogast in Trier und 496 der Frankenkönig Chlodwig (481 - 511), wie schon oben gesagt, in Reims taufen ließen. 7)




1) Zuerst bei Ammioan. Marc. XVII, 8 u. 9.
2) Von dem Flusse Issala = Issel:
3) Anm. Marc. XX. 10 spricht zur Zeit Julians von den Franken, die man Ampsivarier nennt; Sulp. Alex erwähnt zum Jahre 392 bei Greg. Tur. 11,9 die Ampsivarter am rechten Niederrhein.
4) Vgl. über die ganze Frage: H. v. Schlibert, die Unterwerfung der Alamannen unter die Franken, Straßburg 1884. - Godefr. Kurth, Clovis, Brüssel.
5) Becker, Blankenheim, S. 20.
6) Eltester im Mittelrheinischen Urkundenbuche von Beyer, II, 98 röm.
7) Becker, Blankenheim, S. 20. Vgl.; H.S. Von Alpen, Das fränkische Rheinland, Köln 1802. - F. Cramer, De veterum Ripuariorum statu, Bonn, 1784. - G.Eckertz: Die Ausdehnung des fränkischen Ripuarlandes auf der linken Rheinseite (Programm des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums zu Köln, 1854).




*) Anmerkung wingarden.de: Weitgehende Übernahme der Rechtschreibung der Originalvorlage incl. Fehler. Irrtümer und Übertragungsfehler vorbehalten.




Aus: Geschichte der Bürgermeisterei Cuchenheim (Auszug) - Zum 500jährigen Bestehen der St. Sebastianus-Schützen-Gesellschaft bezw. -Bruderschaft zu Cuchenheim (3. Juli 1921)
Sammlung Hans Regh, Kreuzweingarten
Edition H.K. 24. Dezember 2002


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