Über einige Flurnamen des Kreises Euskirchen

Von Studienrat Dr. Mürkens Euskirchen




In jüngster Zeit wendet man sich mit besonderem Interesse der Erforschung der Flurnamen zu. Man tut es in der richtigen Erkenntnis, daß dies uns einerseits vielfach altes Sprachmaterial bewahrt haben, anderseits uns auch oft manchen willkommenen Aufschluß über historische und kulturgeschichtliche Verhältnisse der früheren Zeit geben können. Im letzten Eifelvereinsblatte hat L. Krükel eine Sprachstudie zu der Stammsilbe „Hun“ oder „Hon“ geschrieben. Im Anschlusse daran möchte ich im Folgenden über einige Flurnamen des Kreises Euskirchen sprechen. Ich beginne mit der für die fränkische Besiedelungsart wichtigen Bezeichnung der Hundertschaft, die in ältester Zeit hund, später, besonders seit dem 12. Jahrhundert, hundert lautet (hund und hundert bedeuten zunächst die Zahl 100). Eine Hundertschaft, 100 Familien umfassend, bildete die altfränkische Gemeinde und war der zehnte Teil eines Gaues. Der Vorsteher dieses Familienverbandes war der Huno, der in seiner Gemeinde oberster Richter und Feldhauptmann war. Wenn wir uns so die Einrichtung der altfränkischen Hund- oder Hundertschaft mit dem Huno an der Spitze vergegenwärtigen, so erscheinen uns die Namen „am Hundershof“ und „auf der Hundsgasse“ im Dorfe Erp erst im rechten Lichte. Der letztere Namen hat, wie man auf den ersten Blick annehmen könnte, gar nichts mit dem bekannten vierfüßigen Tiere zu tun. Hundsgasse ist nichts anderes als Hunsgasse, d. i. Gasse, auf der der Huno, der Vorsteher der Hundertschaft, wohnte, und Hundershof ist gleich Hundertshof, d. i. der Hof der Hundertschaft, und wir werden nicht fehl gehen, wenn wir diesen Hundertschaftshof als den ersten Hof in der Gemeinde, als den Sitz des Huno annehmen, nach welchem die Gasse ihren Namen erhalten hat. Eine spätere Zeit erst konnte die Hunsgasse mit unserem Haustiere in Verbindung bringen, da ihr die historischen Verhältnisse nicht mehr geläufig waren. An den alten Huno erinnert ebenfalls, wie mir scheint, die Flur „auf die Hundsgasse“ in der Stadt Euskirchen, die allerdings bei der letzten Katasteraufnahme weggefallen ist, ferner „hinter dem Hundsgarten“ in der Gemeinde Nemmenich. Einen Honderbusch (=Hundertbusch) haben wir in der Gemarkung Lessenich-Rißdorf und inder Gemeinde Antweiler: er ist der einer Hundertschaft gehörige Busch, dessen Benutzung ursprünglich gemeinsam war. Dieselbe Bedeutung hat wohl der Hohnbusch (=Hundbusch) in der Gemeinde Weilerswist. „Hinter der Hundskaul“ heißt eine Flur in der Gemeinde Borr. Sie war wohl nicht eine Kaule, wo Hunde ihr Unwesen trieben, vielmehr war sie eine Hundertschafts- oder Gemeindekaule, aus der die Gemeinde sich Baumaterialien holte. Diese Kaulen spielten bekanntlich in früherer Zeit eine wichtige Rolle.

Wie schon oben erwähnt wurde, war der Huno im Frieden der höchste Richter in seiner Gemeinde. Von ganz besonderer Bedeutung war nämlich in jeder Gemeinde das Rechtssprechen sowie der Ort, wo Gericht gehalten wurde, und es ist kein Wunder, daß die auf diese Dinge sich beziehenden Bezeichnungen sich in so manchen Flurnamen erhalten haben. Der uns heutzutage geläufigste Ausdruck für die Handlung und den Ort des Rechtsprechens ist Gericht. So heißt denn auch eine Flur in der Gemeinde Lommersum „am Gericht“. Eine seit der Hohenstaufenzeit besonders gebräuchliche Bezeichnung für Gerichtsverhandlung war das Ding (Geding). In der Gemeinde Weilerswist heißt eine Flur „Auf dem Dinghaus“. Dort stand also das Gebäude, wo das Gericht, das Ding abgehalten wurde und zwar schon nicht mehr unter freiem Himmel, wie es in der fränkischen Frühzeit der Fall war.

In der ältesten Zeit gab es noch zwei uns nicht mehr geläufige Ausdrücke, die sowohl das Gerichtsverfahren als auch die Gerichtsstätte bezeichneten, nämlich die Roge oder Rüge (mittelhochdeutsch ruoge und rüege; verl. auch das später vielerorts vorkommende Rügegericht) und das Mal, das aus althochdeutsch mahal zusammengezogen ist und mittellateinisch in altfränkischen Urkunden mallum oder mallno hieß. Der Hundsrück, ursprünglich nur der Name für einen kleinen Teil des gebirgigen Landes, war eine hundrüge, d. i. eine Gerichtsstätte der Hundertschaft. Über diesen und ähnliche Namen haben gehandelt Wecus in der Köln. Volkszeitung (1913 Nr. 30) und Krükel im Dezemberheft (1918) des Eifelvereinsblattes *). Malberg (a. 893 Maleberhc) ein Ort im Kreise Rheinbach, ist ein Berg, wo sich ein Mal oder eine Gerichtsstätte befand. Bei Titz im Kreise Jülich heißt eine Flur „im Dinkmal“. Dort war als das Mal oder die Gerichtsstätte, wo das Ding, die Gerichtsverhandlung, stattfand. Die Bedeutung der Wörter „Rüge“ und „Mal“ verblaßte mit der Zeit immer mehr, und da sie später nicht mehr recht verstanden wurden, wurden sie vielfach ganz entstellt, und nur mit Mühe läßt sich aus den heutigen Flurnamen das Ursprüngliche herauslesen. In der Euskirchener Gemarkung beim Dorfe Kessenich haben wir die Flur „am Himmelreich“. Bis vor kurzem war dort ein struppiges, buschiges Gelände, und es ist nicht einzusehen, daß die Flur wegen ihrer schönen Lage den Namen verdient hätte. Mit Wecus, der in der Köln. Volkszeitung (1913 Nr. 7) für Köln diesen Namen erklärt hat, erblicke ich darin ein ursprüngliches Hundmalrüge, das sich durch volkstümliche Entstellung und Anlehnung zu Hummelrüg, Hümmelrich, Himmelreich entwickeln konnte. In dem Namen ist das die Gerichtsstätte bedeutende Mal, das im Mittelhochdeutschen bereits nur in Zusammensetzungen vorkommt, durch das gleichbedeutende rüge verstärkt. Die Flur bedeutet also „bei der Gerichtsstätte (malrüge) der Hundertschaft. Von gleicher Herkunft und Bedeutung ist der Flur in der Gemeinde Lommersum: am Himmelich; letzteres ist = Himmellich und ist durch Angleichung des r an la aus Himmelrich (neuhochdeutsch Himmelreich) entstanden. In der Gemeinde Liblar findet sich ohne das verstärkende rüge eine Flur „am Himmel“, die nichts anders ist als ein entstelltes „am Hundmal“ und „am Hundertschaftsgericht“ bedeutet. Unmittelbar neben der genannten Flur am Himmelich (= an der Gerichtsstätte der Hundertschaft) liegt bezeichnenderweise eine andere Flur: im Hungssul, das etwa soviel ist wie „am Galgenholz der Hundertschaft“; altniederfränkisch (auch mittelhochdeutsch) sul = Säule, senkrechtstehender Stamm, hier wohl soviel wie Galgenholz. Nach erfolgter Aburteilung des Verbrechers konnte das eben zum Gerichte versammelte Volk auch zugleich Zeuge sein, wie jener mit dem Stricke hoch oben an das unheimliche Galgenholz gebunden und den Raben und Krähen zum Fraße preisgegeben wurde. Die gewöhnliche Bezeichnung für dieses Marterwerkzeug war jedoch der Galgen. Wohl in jeder Gemeinde hat ehemals ein Galgen gestanden, den der Vorübergehende nur mit stillem Schauder betrachtete und es ist nicht von ungefähr, daß die Erinnerung daran sich in besonders vielen Flurnamen erhalten hat. Aus dem Kreise Euskirchen sind es folgende: Galgenfeld, Gemeinde Euskirchen; am Galgen, Gemeinde Euenheim, Gemeinde Niederberg und Gemeinde Elsig; am Galgenberg, Gemeinde Commern und Gemeinde Oberelvenich (hier auch ein Galgenfeld); am Galgenpfädchen, Gemeinde Friesheim; Galgenplatz, Gemeinde Borr; am Galgentricht (= Galgentrift), Gemeinde Lechenich. Bezeichnungen wie Würgkehl, Gemeinde Lövenich, und Würgkaul, Gemeinde Schwerfen, werden sich wohl auf das Abschlachten von Tieren beziehen.

So erzählen uns noch manche Flurnamen von der altfränkischen Gemeinde, der Hundertschaft, von ihrer Gerichtsstätte, wo unter dem Schatten altehrwürdiger Bäume öffentlich Recht gesprochen wurde, sowie auch von dem gefürchteten Galgenplatze, wo der schwere Verbrecher, zum abschreckenden Beispiele der Gemeinde, den verdienten Tod erleiden mußte.

*) Leider hat L. Krükel im Dezemberheft nicht die Quelle seiner Sprachstudie angegeben. Der Düsseldorfer Schriftsteller Edm. v. Wecus hat in seiner Schrift „Zur Erkenntnis der Vorzeit“ (Berg-Verlag. Düsseldorf, Preis 3,50 M) und in einer kurzen Abhandlung in der Köln. Volkszeitung die Erklärung des Wortes Hunsrück in ausführl. Begründung gegeben, die der Krükelschen Abhandlung als Unterlage diente.

Die Schriftleitung.







Aus: Eifelvereinsblatt Nr. 1 Mitte September 1919, herausgegeben vom Hauptvorstande des Eifelvereins 21. Jahrgang, Selbstverlag des Eifelvereins, Schriftleitung Rektor Zender in Bonn.


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