Günther Amtmann und Winrich Schwellnus


Luft- und Bodenprospektion

Ein neues Erdwerk der Michelsberger Kultur bei Jülich, Kr. Düren

Aus:

Landschaftsverband Rheinland - DAS RHEINISCHE Landesmuseum BONN
Berichte aus der Arbeit des Museums 4/87 - S. 53 - 56


Luftprospektion


Das Objekt liegt nördlich von Jülich, unmittelbar neben einer der Ausflugschneisen des Fliegerhorstes Nörvenich. Als Pilot von Düsenkampfflugzeugen der Bundeswehr war ich 12 Jahre auf diesem Flugplatz stationiert und flog in dieser Zeit mehrere hundertmal an dem Erdwerk vorbei. Während der wenigen Sekunden des Vorbeifluges in dem in dieser Flugphase kurz nach dem Start bereits über 800 km/h schnellen Starfighter beobachtete ich in unregelmäßigen Abständen in der Sommerzeit immer wieder zwei mächtige, gebogen gleichverlaufende, dunkle Verfärbungen in der Vegetation des Ackerlandes, die jedoch fast immer an der Grenze der Ackerparzelle endeten.

Luftbild des Erdwerkes von Jülich (Foto: G. Amtmann, freigeg. Regierungspräs. Düsseldorf Nr. 51 U 95)


Obwohl ich als archäologisch interessierter Laie die Ursache der Vegetationskontraste als anthropogenen Bodeneingriff erkannte, blieb mir die Bedeutung meiner Beobachtungen verschlossen. Der militärische Auftrag sowie die Enge des Cockpits erlaubten ein Mitführen geeigneter (großmaßstäblicher) Karten ebensowenig wie das Mitführen einer Kamera. Auch hätte die nur Sekunden währende Beobachtungszeit nicht für eine ausreichend genaue Kartierung ausgereicht.


So blieb mir über viele Jahre verborgen, daß die Vegetationskontraste, durch die sich das Objekt abschnittsweise zu erkennen gab, oft mehrere hundert Meter vom vorjährigen Beobachtungspunkt lagen. Nach Aufnahme einer systematischen luftarchäologischen Prospektion mit langsam fliegenden Propellerflugzeugen und entsprechender Kamera- und Kartenausrüstung hielt sich das Objekt jahrelang vollständig bedeckt, so daß schon eine Zerstörung durch intensive Agrarbewirtschaftung zu befürchten war. Dann plötzlich, in einer spätsommerlichen Trockenphase, erschienen in einem Rübenfeld Vegetationskontraste der jahrelang erwarteten Art, die dann im Verlauf der weiteren Austrocknung des Bodens immer deutlicher wurden, bis sich schließlich das Bild auf der vorigen Seite zeigte, auf dem ein kundiges Auge sofort den Charakter des Objektes nebst einigen wichtigen Details erkennt.

Nach dem Luftbildbefund übertragener ungefährer Verlauf des Erdwerkes (dunkles Raster), der Tordurchlässe (Dreiecke) und der bei der Begehung erkannten Fundstreuungen (helles Raster)


Der dunkle, teilweise gebogen verlaufende Doppelstreifen verrät als sog. positives Vegetationsmerkmal einen ehemals vorhandenen, heute vollständig verfüllten am Boden nicht mehr erkennbaren mächtigen Doppelgraben. Die drei hellen Unterbrechungen sind als Erdbrücken, d.h. Übergänge über das Grabensystem, zu interpretieren. Die Hälfte ihrer Länge begleitend, stand einst ein Palisadenzaun. Die beiden rechtwinklig von dieser Palisadenspur nach außen (rechts) abzweigenden und den inneren Graben überspringenden dunklen Linien dürften ebenfalls Palisadengräbchen sein. Wer die Grabenspuren einem Größenvergleich mit dem dahinterliegenden Feldweg unterzieht, der knapp 5 m breit ist, wird leicht erkennen, daß jede der beiden Grabenspuren eine Breite von über 10 Metern aufweist! Die Länge der beiden Grabenspuren beträgt jeweils ca. 250 Meter.

Erdwerke und sonstige Fundplätze der Michelsberger Kultur im Rheinischen Braunkohlengebiet: 1 Jülich, 2 Inden, 3 Koslar, 4 Lich-Steinstraß


Plan des ausgegrabenen Abschnittes des Erdwerkes von Inden (Tagebau Inden): einfache Grabenführung mit zwei erhaltenen Tordurchlässen und innenliegender Palisade.


Dieser formale Befund des Luftbildes legte die Interpretation als Wehranlage nahe, deren Zeitstellung im prähistorischen Bereich zu vermuten war. Obwohl die auf dem Luftbild erkennbaren Dimensionen schon auf eine beachtenswerte Gesamtgröße schließen ließen, erahnte man zu diesem Zeitpunkt noch nicht die wirklichen Dimensionen dieses Grabenwerkes, das auch bis heute noch nicht einmal zur Hälfte erfaßt werden konnte. In den folgenden Jahren führte eine intensive Beobachtung aus der Luft und am Boden zu einer Fülle neuer Erkenntnisse über Dimension und Zeitstellung des Objektes. So konnte bisher durch mosaikartiges Zusammensetzen verschiedener Luftbilder, die in verschiedenen Jahren, wechselnden Jahreszeiten und bei unterschiedlicher Vegetation aufgenommen wurden, eine Grabenlänge von ca. 1,1 km dokumentiert werden. Zwei weitere Erdbrücken wurden dabei erkennbar. Der gebogene Verlauf des Grabensystems läßt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf eine insgesamt rundliche Struktur einer Wehranlage mit einem Durchmesser von mindestens 1 km schließen und erreicht damit nahezu die Dimension des Urmitzer Erdwerkes im Neuwieder Becken (Michelsberger Kultur), das ebenfalls eine doppelte Grabenanlage aufweist.

Wie schon oben erwähnt, kann es sich bei dem bisher gesicherten Verlauf des Erdwerkes nur um weniger als die Hälfte der Gesamtanlage handeln. Ob eines Tages die Gesamtanlage in ihrer Ausdehnung und vielleicht auch inneren Bebauung / Nutzung dokumentiert werden kann, ist von vielen Faktoren abhängig, wie Art der Feldbestellung, Vegetation, Wetter, längere Trockenphasen während der Reifezeit der jeweiligen Feldfrüchte (z.B. Weizen im Hochsommer, Rüben im Spätsommer / Frühherbst), Häufigkeit der Prospektion aus der Luft und am Boden. Die Aufzählung ist nicht vollständig und kann aus Platzgründen in ihrer Bedeutung hier nicht erläutert werden. Ebenso können in diesem Rahmen die ursächliche Bedeutung der für die luftarchäologische Prospektion wichtigen Faktoren und deren Zusammenwirken nicht dargestellt werden. Wer mehr darüber wissen möchte, weshalb die Spuren eines heute am Boden nicht mehr erkennbaren Gebäudes besonders gut im Hochsommer und in einem Weizenfeld, die Spuren eines „Loches“ auch sehr gut in einem spätsommerlichen Rübenfeld erkennbar werden können, sei auf die nachstehende Bibliographie verwiesen.

Lit.: O. Braasch, Luftbildarchäologie in Süddeutschland (1983). - L.Deuel, Flug ins Gestern (1981). - I. Scollar, Archäologie aus der Luft (1965).

G.A.



Oberflächenprospektion


Aufgrund des aus der Luft erkannten und lokalisierten Befundes wurde zunächst eine grobe Einmessung mit Funkeinweisung an den Stellen durchgeführt, wo die Anlage heutige Feldwege oder Parzellengrenzen schneidet. Außerdem wurden in den Wintermonaten der Jahre 1985, 1986 und 1987 systematische Oberflächenbegehungen durchgeführt. Sie erbrachte eine erhebliche Anzahl von Fundstücken, meist aus Feuerstein (s.u. Beitrag Arora).

Plan des Erdwerkes von Lich-Steinstraß (Tagebau Hambach): einfache Grabenführung mit vier erhaltenen Tordurchlässen.


Diese mehrjährige Oberflächenprospektion war, ähnlich wie die Luftprospektion, dadurch nötig, daß sich die Anlage über zahlreiche unterschiedliche bestellte Parzellen erstreckte und eben nicht alle Parzellen gleichzeitig gute Beobachtungsbedingungen haben. Auch heute noch sind einzige Parzellen verblieben, die innerhalb dieses Zeitraumes keine wirklich guten Bedingungen für die Begehung boten.

Nur von der Oberflächenprospektion betrachtet, müßte das Ergebnis widersprüchlich bleiben. Die erkannten Fundkonzentrationen und lockeren Fundstreuungen (insgesamt über 500 Artefakte) wären, hätte man nicht den Befund der Luftarchäologie, wohl nicht als zu einem einzigen archäologischen Objekt gehörig angesprochen worden.

Ebenso geht aus dem Begehungsergebnis natürlich nicht hervor, daß es sich um eine Grabungsanlage dieses Ausmaßes handelt. Immerhin lieferte sie wichtige Datierungsanhalte. Die wenigen Keramikbruchstücke urgeschichtlicher Machart konnten zunächst nur allgemein in den Zeitraum Jungneolithikum bis Metallzeit gesetzt werden, doch legten einige kleine Wandscherben nach Struktur und Oberfläche eine Datierung in das Jungneolithikum - 4. und 3. Jahrtausend v. Chr. - nahe. Dieses Ergebnis wird von den Silexfunden so weitgehend untermauert, daß wir heute sicher sein können, ein Erdwerk der Michelsberger Kultur vor uns zu haben, eine Erkenntnis, die nur durch das systematische Zusammenwirken von Luft- und Bodenprospektion möglich war.

Bei unserem Erdwerk handelt es sich um das erste dieser Art im Rheinland, das durch Luftbeobachtung erkannt werden konnte. Drei weitere Anlagen konnten seit 1974 durch Grabungen nachgewiesen werden, und zwar in Inden, Koslar und Lich-Steinstraß. An allen diesen Plätzen führten Grabungen im Bereich reicherer jungsteinzeitlicher Oberflächenfundstreuungen zu solchen Erdwerken. Zwei von ihnen sind nur zum kleinen Teil untersucht; das von Lich-Steinstraß im Vorfeld der Kippe des Tagebaus Hambach konnte wenigstens zum Großteil gegraben werden. Es hatte einen Flächeninhalt von 6 - 8 ha und einen einfachen Graben, ohne dahinterliegende Palisade, sowie vier Erdbrücken (Tordurchlässe). Die Befunde in Inden und Koslar zeigen Palisaden, wobei bei letzterem eine ältere Palisade von dem Graben angeschnitten wird.

Bei dem Erdwerk von Jülich handelt es sich zweifellos um die größte bisher bekanntgewordene Anlage dieser Art im nördlichen Rheinland, die mit über 800 m gesicherten Durchmesser die Größenordnung des berühmten, vor über 60 Jahren gegrabenen Erdwerkes von Urmitz (zwischen Andernach und Koblenz) erreicht. Es ist damit der größte urgeschichtliche Einzelbefund des Rheinlandes.

Lit.: U. Boelicke, Das neolithische Erdwerk von Urmitz. Acta Praehist. et Arch. 7/8, 1977, 73-121. -
U. Boelicke, Überlegungen zur Rekonstruktion der Umfassungsanlage des Erdwerkes Urmitz. Kölner Jahrb. für Vor-und Frühgeschichte 16, 1978 / 79, 21-34. -
J. Eckert, Untersuchungen zur neolithischen Besiedlung der Aldenhovener Platte VIII. Bonner Jahrb. 179, 1979, 313-321 (Koslar). -
W. Schwellnus, Untersuchungen zur neolithischen Besiedlung der Aldenhovener Platte V. Bonner Jahrb. 175, 1975, 197-201 (Inden). -
W. Schwellnus, Archäologie im Rheinischen Braunkohlenrevier. Die Außenstelle Niederzier 1985 / 1986. Ausgrabungen im Rheinland '85/86, 1987, 39-39 (Lich/Steinstraß).

W. Sch.


Für Seiteneinsteiger: Untersuchungen zur Vorgeschichte Kreuzweingartens


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