Gefährtinnen aus Stein
Namensdeutung der Matronen zwischen Antweiler und Pesch
von Gudrun Nositschka

.

.

„Namen sind Schall und Rauch!“ behaupten die einen, „nomen est omen!“ (der Name ist Anzeichen, Schicksal) entgegnen die anderen. Zu Schall und Rauch werden Namen erst, wenn wir ihre Bedeutung vergessen haben, wir nichts mehr mit ihnen verbinden. Ansonsten geben wir Menschen den Dingen und unseren Kindern Namen, oft nach irgendeinem Vorbild, in der Hoffnung, daß das Kind so klug, schön, tapfer und stark sein möge wie das Vorbild.

Als ich vor fast zwanzig Jahren mit meiner Familie nach Wachendorf zog, fragte ich nach dem ersten Einleben eine heimatkundlich bewanderte Ortsansässige: „Was bedeutet eigentlich der Name Wachendorf?“ Sie war sich nicht ganz sicher, meinte aber, es gäbe einen Wachenbach, auch ein Vorbesitzer der Schloßanlagen soll einen ähnlichen Namen getragen haben, Ihrem ebenfalls interessierten Mann fiel noch ein, daß es einen keltischen Stamm namens Vacalli gegeben haben soll. Im übrigen hatte er gehört, daß Wachendorf einfach Kuhort heiße. Dabei lachte er verlegen, gleichsam entschuldigend. Dennoch war die leichte Verachtung nicht zu überhören. Kuhort, na ja, dachte ich. Obwohl in einer Stadt aufgewachsen, finde ich Kühe mit ihrer freundlichen Neugier, den großen dunkelbraunen Augen, ihren oft rot- oder schwarz-weißen Fellen, den gewichtigen Leibern und ihren starken Eutern sympathisch. Unbegreiflich, warum so oft Worte im Zusammenhang mit Kuh verächtlich ausgesprochen werden, grübelte ich, um dann meine Frage nach der Bedeutung des Namens Wachendorf fast zwölf Jahre zu vergessen. Zu dem Zeitpunkt entdeckte ich die keltische Sagenwelt und ihre in keinster Weise abschätzige Beschreibung von Kühen. Es gibt die große Kuh (Damona) oder die weiße Kuh (Boand) sowie die rotohrige Kuh der Anderswelt. Letztere taucht häufig als Begleiterin einer Fee in einem See auf, der wiederum nicht selten mit einem moorigen Gebiet verbunden ist. Die rotohrige Kuh vermehrt sich auf wundersame Weise, solange die Fee mit einem Sterblichen zusammenlebt, der sie liebt und ihre gesetzten Bedingungen respektiert. Nach Beleidigung oder einem ihr (un-)willentlich angetanem Unrecht ruft die Fee mit weitklingender Stimme ihre Tiere zusammen und verschwindet auf Nimmerwiedersehen im See. Die heilige Brigid in Irland hat die enge Beziehung zur Kuh „geerbt“. (Zitiert aus dem Lexikon der kelitschen Mythologie, 1992, Sylvia und Paul F. Botheroyd).

Alle drei Erscheinungsformen der Kuh der keltischen Sagenwelt sind Attribute der Verkörperungen der neolithischen (Jungsteinzeit) Muttergöttin, deren Aussagekraft, nämlich lebensspendend, heilend und erneuernd zu wirken, so stark war, daß Kelten und Germanen sie in ihr Weltbild aufnahmen. Die Forscherin Marija Gimbutas schreibt in ihrem herrlichen Buch „Die Sprache der Göttin“, 1989, über die verschüttete Symbolwelt des Alten Europas, daß die Göttinnen, die mit der Kuh und der Milch assoziiert werden, zu den archaischsten gehören.

Für mich bestand kein Zweifel mehr, daß demnach ein Kuhort ein besonderer Ort sein mußte, doch wo war die große Göttin geblieben, die zu diesem Weltbild dazugehörte?

Kaum hatte ich mir die Frage gestellt, „entdeckte“ ich den sogenannten Heidentempel bei Pesch, hörte dort von Sophie Lange und Zirrah Voigt über Matronendarstellungen, (aus Stein modellierte römische Zeugnisse keltisch-germanischer Glaubensvorstellungen einer dreifaltigen Göttin) über ihre möglichen Bedeutungen und ihre vielfältige Beinamen, mittlerweile nachlesbar in: Wo Göttinnen das Land beschützen, Matronen und ihre Kultplätze zwischen Eifel und Rhein, 2. Aufl. 1995, Bad Münstereifel anschaulich beschrieben und hervorragend recherchiert von Sophie Lange. Mich wundert nicht mehr, daß fast vor meiner Haustür, nämlich in Antweiler (Kirche) und Lessenich, Steine gefunden worden waren, geweiht den vacallinehischen Matronen, und es fiel mir leicht, in der Dreiheit die eine allumfassende Göttin wiederzuerkennen, die im Zyklus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verband. Doch was hieß vacallinehae?

.

.

Eine Übersetzung „die Hengste fruchtbar machenden“ fand ich sehr weit hergeholt, zumal die keltische Pferdegöttin Epona immer allein mit ihrem Begleittier dargestellt gefunden worden ist. Sylvia und Paul F. Botheroyd schreiben im Lexikon der kelt. Mythologie, daß die Epona ohne Pferd undenkbar ist.

Venn vaca (altirisch), vacca (lat.) die Kuh heißt, wobei auch die Schreibweisen mit o möglich sind, was heißt dann vac(c)all? Wie ein Magnet schien mich im Jahr 1993 der Münsterberg, oberhalb von Wachendorf Richtung Iversheim gelegen, anzuziehen. Dort konnte ich von einer einzigen Stelle von Osten über Norden bis zum Westen blickend, das Siebengebirge mit dem Drachenfels, die Orte Kirspenich /Arloff/Kreuzweingarten/Kalkar mit dem Moor, Maria Rast, die Antweiler Kirche am Rande der Antweiler Senke im Mittelpunkt sowie Wachendorf und den Lessenicher Wald mit einer halben Kopfdrehung umfassen.

Blick vom Münsterberg auf Antweiler Senke und Kalkarer Moor
Fotos: Medienzentrum des Kreises Euskirchen

.

.

Wenige Tage zuvor hatte ich Richard Festers Aufsatz „Das Protokoll der Sprache“ in dem Buch „Weib und Macht, Fünf Millionen Jahre Urgeschichte der Frau“, Fischer 1992, gelesen, in dem mich das Wort KALL als Archetyp auch deshalb elektrisierte, weil unsere Eifelregion mit zahlreichen Kalls und Abwandlungen protzen kann (Kalkar, Kall, Kallmuth, Keldenich, Kalenberg, Kalenborn, Kalterherberg, Kyll).

So wagte ich eine Deutung des Namens „vacall“ und schrieb an Sophie Lange am 22.2.1994 folgenden Brief, den sie in ihrem Buch „Wo Göttinnen das Land beschützten“ aufnahm: „Nach den Forschungsergebnissen von Richard Fester gehörte die Silbe oder das Wort KALL zu den sechs Archetypen aller Sprachen. Nach der Silbe oder dem Wort BA ist KALL die zweitälteste Sprachwurzel.

R. Fester führt zusammenfassend aus: „Kall ist jede Vertiefung, jeder Hohlraum, jede Wölbung, jeder enge Durchlass, ist Schale, Kehle, Höhle, Wohnstatt, Kulthöhle, Quelle und das Tal wie der Paß, der die Höhe überwindet. Vor allem aber der mütterliche Leib, die Geburt, das Kind, die Sippe, der Clan, das Volk, Tiere, die Geburt, das Kind, die Sippe, der Clan, das Volk, Tiere und Fruchtbarkeit, Schnecken und Muscheln, die ihre Wohnhöhle mit sich tragen, Pflanzen und Bäume, die hohl sind oder hohle Früchte haben oder sich zum Aushöhlen für Bütte und Boote eignen. Kall ist auch Niederung, Senke, Meer, Mündung, Flußbett, See, aber auch Zugang und Weg. Um zu differenzieren, erläutert Fester weiter aus, ist das Wort oder die Silbe auch mit anderen Vokalen, Konsonanten, in den jeweiligen Umkehrungen und Verdoppelungen weiterentwickelt worden. Aus Kall wir u. a. Lak/Lac oder Caw/Cav oder Wac/Vac.“

Die Übereinstimmung mit dem Wort vacall ist auffällig. Was aber bedeuteten die Worte zu der Zeit, als die römischen Soldaten sich der keltischen Kulte bedienten? Vacca (das V wird wie W gesprochen) heißt im Lateinischen Kuh, das milchgebende Muttertier. Lac (Kall) heißt im Lateinischen Muttermilch. Die Muttermilch wiederum wird mit lebendspendend und lebenerhaltend gleichgesetzt. Von der Sprache her sind also die vaccalinehischen Matronen lebensspendende Göttinnen, die mit der Muttermilch assoziiert werden. Laut Lexikon der keltischen Mythologie von Sylvia und Paul F. Botheroyd, München 1992, „unterhielten die Kelten die indogermanische Vorstellung von der Kuh als Verkörperung oder Attribut der Muttergöttin“.

Die Verehrungsstätten der Matronen lagen bzw. liegen an Örtlichkeiten, bei denen mehrere Verehrungswürdigkeiten zusammentreffen oder dicht (überschaubar) beieinanderliegen. Alle lassen sich mit dem Archetyp KALL zusammenbringen = Quelle, Niederung, Senke, See, Höhle usw., siehe oben. Alle diese Merkmale treffen auch auf die Lage der Kirche bei Antweiler, ca. 1600 Meter vom Münsterberg bei Wachendorf aus gesehen, zu. Nordwestlich liegt eine große Senke (Antweiler Senke), wo sich vor Tausenden von Jahren ein flacher See (Lake) befand. Ein Überrest dieses Sees ist das Kalkarer Moor. Quellen liegen südlich der Kirche im Wachendorfer Bereich. Zwei Bäche fließen in Richtung der Senke, der Wachenbach und der Krebsbach. Vom Münsterberg bei Wachendorf aus gesehen, liegt die Kirche bei Antweiler im Rundblick von Osten bis Westen fast zentral. Die Orte Antweiler, Wachendorf und Kalkar liegen alle oder nahe der Antweiler Senke mit dem Namen Kalkarer Moor. Das Moor galt Kelten und Germanen ebenfalls als eine Stelle der Verehrung, führte es doch zur Anderswelt. Ich halte es nicht für einen Zufall, daß bei der Antweiler Kirche, übrigens nach Johannes dem Täufer geweiht, der nach Sonja Rüttner-Cova „Frau Holle, die gestürzte Göttin“, Basel 1988, an zahlreichen Orten die Verehrungsstätten der lebensspendenden Frau Holle überlagert, mehrere vacallinehischen Matronensteine gefunden worden sind. Auch wenn das Zentrum der Verehrung einige Kilometer weiter in Pesch gelegen haben mag, ist es für die Orte Wachendorf und Kalkar eine Ehre, heute noch ihren Namen zu tragen.

Das Echo nach der Veröffentlichung war vielfältig und verwies mich auf R. Resters weitere Bücher: Urwörter der Menschheit, 1981 und Die Steinzeit liegt vor deiner Tür, 1981, leider beide vergriffen, nur durch die Fernleihe erreichbar.

In beiden Büchern fand ich weitere Feinheiten, die meinen Erklärungsversuch untermauerten. Zu dem KALL-Wort für die Vieharten der Frühzeit gehört natürlich auch das Kalb, so daß vaccal auch Kuh mit Kälbchen bedeutet. In Hallstatt, Österreich, wurde eine keltische Verehrungsschale der Muttergöttin in Kesselform aus dem 6. Jhrdt. u. Z. mit Kuh und Kälbchen hinter ihr gefunden (Lexikon der kelt. Mythologie), und R. Fester führt in seinem Buch: „Die Steinzeit liegt vor unserer Tür im Kapitel „Kultfeiern und Kultstätten“ aus: „Im Volksmund haben sich in vergessener Erinnerung an die drei Großen Mütter Vorstellungen vom Sonnen-, Mond- und Kettenkalb erhalten. Wir verstehen leicht, daß das KALB nur eine Tarnung des KALL für unter anderen auch mütterliche Gottheiten ist - Ambeth, die Erdmutter mit der Kette, Borbeth, die Sonnenmutter mit dem Marienkäferchen und Wilbeth, die Mondmutter mit den Brüsten für das Kalb.

Das KALL der Landschaft, die KALL-Höhle oder das Sonnen-, Mond- und Kettkalb, sie alle wurden mit der gleichfalls KALL genannten mütterlichen Gottheit in ihrer dreifältigen Gestalt identifiziert und erhielten sich, weil längst von keinem Eiferer mehr verstanden! Ausrufungszeichen von Autorin), ungeschoren durch die christliche Zeit. Fester schreibt auch, daß diese Dreiheit in unseren Wochennamen weiterleben, wobei die Heiligkeit der Erde mit dem Samstag, die der Sonne mit Sonntag und die des Mondes mit Montag fest verankert worden ist.

.

.

Ist es dann nur ein Zufall, wenn in katholisch geprägten Regionen wie die der Eifel, die weitgehend die vorchristlichen Feste in ihr Brauchtum übernommen haben, ein Kirchweihfest an den Tagen Samstag, Sonntag und Montag begangen wird?

Fester bezieht sich zwar auf die drei Bethen, von denen unser Wort beten, wahrscheinlich auch Gebot hergeleitet wird, (siehe auch: Wo Göttinnen das Land beschützten), doch die Parallelen zu unseren Matronen sind nicht zu übersehen, wenn sie ihrer Gestaltung nach auch nicht identisch sind. Ich bin mit Richard Fester, Marija Gimbutas, Sylvie und Paul F. Botheroyd sowie Sophie Lange überzeugt, daß letztlich alle weiblichen Erscheinungsformen immer wieder auf eine allumfassende Göttin hinweisen, so zahlreich ihre Namen und Attribute sein mögen.

Auch in dem 1995 auf deutsch erschienenen Lexikon von Barbara Walker: Das geheime Wissen der Frauen, dtv und 2001 Verlag, Ffm, würde ich bezüglich Kuh und Kalb fündig.

Antweiler Kirche - ursprünglicher Verehrungsort der vacallinehischen Matronen

.

.

U. a. wurde im Altertum in Ägypten die Himmelskönigin Hathor als Himmelskuh verehrt, aus deren Euter die Milchstraße entsprang, deren Körper das Firmament bildete und die täglich die Sonne gebar.

Die Sonne war Horus-Ra, ihr goldenes Kalb, uns nur noch negativ überliefert in der hebräischen Bibel.

Fast alle Mythologien weltweit sehen bzw. sahen in der Kuh etwas Besonderes, so daß Barbara Walker meint: „Die Kuh wurde als Amme der Menschheit geehrt.“

Wie das Kalb das Kind der Kuh (Göttin) ist, so definierten sich auch Stämme, Clans, Sippen, Völker und Nationen als Abkommen der Göttin, nicht zuletzt Gallier, Galater, Galizier und hundert andere (R. Fester: Urwörter der Menschheit).

So schließt sich der Kreis der Überlegungen: Gallier, also Kelten, der Clan der Vacalli, verehrten die Kuh-Kalb-Matronen in unserer Region bis nach 400 u. Z., wobei ich meine, daß die Tempelanlagen in Pesch vielleicht als Refugium entstanden waren, nachdem der nach allen Seiten einsehbare Platz Antweiler zuerst aufgegeben werden mußte, der dann allmählich christianisiert wurde.

.

.

Das war wahrscheinlich auch der Zeitpunkt, als aus er verehrungswürdigen Kuh ein Schimpfwort wurde, wobei das Kalb verschont blieb. Damit unsere vorchristlichen Glaubenswurzeln dieser Region nicht wieder in der Erde verschwinden, uns auch die Quellen unseres Brauchtums wieder bewußter werden, fände ich es überlegenswert, wenn die Stadt Mechernich und die Gemeinde Nettersheim, vielleicht zusammen mit den Geschichtsvereinen, je eine Kopie der 1991 in der Weyerer Kirche wiederentdeckten vacallinehischen Matronen für die Orte Antweiler und Pesch sponsorten, um Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander zu verknüpfen und so die lebensspendende Kuh-Göttin und die Kultorte in ihrer ursprünglichen Bedeutung sichtbar zu machen.

Matronenstein vom „Heidentempel“

.

.

© Copyright Gudrun Nositschka
© Copyright 2004 Kreisarchiv - Der Landrat
©
Copyright wingarden 2004
Zur Startseite wingarden.de