Das Rheinische Freilichtmuseum - ein Refugium für das alte Handwerk
von Dr. Adelhart Zippelius

In den letzen Jahren haben wir an dieser Stelle regelmäßig über die Aufbauarbeiten im Rheinischen Freilichtmuseum in Kommern berichtet. Wir versuchten dabei, unsere Leser über Sinn und Aufgaben dieses Museums zu unterrichten und sie vertraut zu machen mit den Denkmälern, zu deren Schutz und Bewahrung es eingerichtet wurde. So war in erster Linie die Rede von Abbruch und Wiederaufbau der in das Museum überführten Bauernhäuser sowie von den vielen und vielerlei Gegenständen, die zur Einrichtung alter Bauernhöfe gehörten und von uns gesammelt werden. Wir mußten dabei mehr als einmal von den tiefgreifenden Wandlungen sprechen, denen der gesamte bäuerliche Lebens- und Wirtschaftsbereich gegenwärtig ausgesetzt ist, Wandlungen, die allerorts zum Abbruch jahrhundertealter Traditionen und mit ihnen zur Vernichtung der zugehörigen kulturellen Güter führen. Eben um diese wenigstens in einzelnen Beispielen zu erhalten und der Nachwelt zu überliefern, wurde das Rheinische Freilichtmuseum gegründet und aufgebaut.


Abb. 1 Drechsler. Radierung von Jan Joris van Vliet, um 1635


Abb. 2 Blick in die Drechsler- und Stellmacherwerkstatt im Rhein. Freilichtmuseum (in dem Hof aus Binzenbach).

Der „Strukturwandel“ - um ein vielzitiertes Wort zu verwenden -, der sich gegenwärtig in der Landwirtschaft vollzieht, berührt aber nicht nur den bäuerlichen Bezirk im engeren Sinne. So waren zum Beispiel seit altersher viele Zweige des Handwerks in den bäuerlichen Bereich eingebunden und mit diesem auf das engste verflochten. Wandlungen auf der einen Seite sind darum auch zwangsläufig und unlösbar mit solchen auf der anderen Seite verkoppelt: Bauer und Handwerker standen in einem echten Lebenszusammenhang. Und wenn die Einheit, die Ganzheit dieses Zusammenhanges sich gegenwärtig mehr und mehr auflöst, so sind beide Stände in gleicher Weise dem „Strukturwandel“ unterworfen.


Abb. 3 Wippdrehbank aus dem Westerwald im Rhein. Freilichtmuseum.
Es handelt sich um den gleichen urtümlichen Typ einer Drehbank, wie sie in Abb. 1 dargestellt ist.

Hierfür einige Beispiele. Wenn sich in der Landwirtschaft heute die Mechanisierung durchsetzt und dem altbewährten Pferd als Arbeits- und Zugtier nur noch ein Seltenheits- oder ein nur noch sportlicher Wert zugestanden werden kann, so muß selbstverständlich das Handwerk des Hufschmieds zurückgehen. Gleichzeitig muß sich der Stellmacher, der den Pflug und Bauernwagen fertigte, zum Motorschlosser und Tankstellenbesitzer umwandeln, wobei hinter dem zunächst etwas farblosen Begriff „Wandel“ nichts weniger als der radikale Bruch mit einer uralten Tradition, mit anderen Worten der Untergang eines ebenso alten Handwerks steht. Die Beispiele können beliebig vermehrt werden.


Abb. 4 Schneidbank, wie sie früher in jeder Handwerkerstube gebraucht wurde.

In vielen Handwerkszweigen führen die Wandlungen nicht zu einem so gänzlichen Untergang, wir sehen hier vielmehr einen fast nahtlosen Übergang vom Handwerksgerät zur Maschine, während die produzierten Güter im Gegensatz zu den oben genannten Beispielen die gleichen bleiben (abgesehen von Qualitätsunterschieden und neuen Rohstoffen). Denken wir daran, daß früher mindestens in jedem zweiten Bauernhof ein Webstuhl stand, und daß dieses „Hand“-Werk heute gänzlich in die Textilfabriken abgewandert ist. Mit ihm ist auch der Drechsler, der die Spinnräder, Haspeln, Schwingen und Webstühle herstellte, aus unseren Dörfern verschwunden. Wie immer sich verschieden das Schicksal der vielen einzelnen Handwerkszweige gestaltet, in jedem Falle wird aus der alten Handwerkerstube ein handwerklicher, darüber hinaus in vielen Fällen ein industrieller „Betrieb“.

So wie aus dem Bauernhof alten Stils ein „landwirtschaftlicher Betrieb“ geworden ist, und Ausgangspunkt und Endpunkt dieser Entwicklung kaum noch etwas gemeinsames zeigen. Dies soll beileibe kein Klagelied und keine Träumerei von „der guten alten Zeit“ sein. Die Entwicklung nimmt unaufhaltsam ihren Weg, und wir alle stehen irgendwo mitten in ihr. Aber wenn wir die Notwendigkeit erkannt haben, den Denkmälern einer vor unseren Augen versinkenden bäuerlichen Welt wenigstens im Museum ein Asyl zu geben, um sie der Nachwelt zu erhalten, so muß diese in gleichem Maße auch für das alte Handwerk gelten. Die alten Bauernhöfe und der von ihnen ehemals geborgene Hausrat haben ausgedient. Mit ihnen haben ebenso ausgedient die alten Handwerkerstuben und die Arbeitsgeräte der alten Meister. Mit ihrem Verschwinden droht auch unser Wissen um die alte handwerkliche Arbeitstechnik dem Vergessen anheimzufallen. Keine künstliche Wiederbelebung also, aber Bewahrung der dringlichen Hinterlassenschaft eines Berufsstandes, der in der Zeit seiner Blüte Leistungen vollbracht hat, die unserem Lebensstil geprägt hatten.


Abb. 5 Webstuhl aus dem Jahre 1778.
Er steht jetzt in einer Webstube, die in dem Hause aus Bonn-Kessenich im Rhein. Freilichtmuseum eingerichtet wurde.

Entsprechend der Möglichkeit eines Freilichtmuseums, die einzelnen Museumsgegenstände in ihrem ganzen Lebenszusammenhang zeigen zu können, haben wir die Absicht, in den Bauernhäusern eine Reihe von Handwerkerstuben einzurichten. Sie sollen so vollständig wie möglich mit den zugehörigen Arbeitsgeräten, aber auch den jeweiligen handwerklichen Erzeugnissen ausgestattet werden. Vielleicht stellt man sich dies sehr einfach vor, aber es gibt heute kaum noch eine in diesem Sinne „vollständig“ alte Werkstatt, und wir müssen in der Regel mühevoll Stück für Stück im ganzen Lande zusammensuchen. Eine Drechsler- und Stellmacherwerkstatt sowie eine Webstube sind bereits eingerichtet. Weitere Werkstätten bereiten wir vor, so sammeln wir augenblicklich die Arbeitsgeräte und Erzeugnisse der Küfer, Sattler, Schuster, Seiler und Schreiner. Auch eine Töpferei sowie eine Dorfschmiede und eine Bäckerei sollen eingerichtet werden. Die Aufzählung ist unvollständig, sie könnte um Dutzende von verschiedenen Handwerkszweigen erweitert werden.

Mit anderen Worten: Es gibt nichts im handwerklichen Bereich, was wir nicht sammeln. Und an alle, die mit uns der Auffassung sind, daß die Zeugnisse des alten Handwerks unserem kulturellen Besitz angehören, ergeht die Bitte zur Mitarbeit. Auch das kleinste und unscheinbarste Arbeitsgerät - sei es zum Beispiel ein einfaches Ziehmesser oder eine Schablone - ist wichtig für uns, denn es bildet einen Teil des Ganzen, das eben erst als Ganzes seinen wirklichen Wert erhält. So sind wir für jeden Hinweis dankbar, für Hinweise natürlich auch über die Handhabung der Geräte und die alte Arbeitstechnik. Denn ein Gegenstand sagt uns nichts, wenn wir nicht seine Funktion und Geltung in allen Einzelheiten kennen.


Abb. 6 Garnhaspel aus der Webstube im Rhein. Freilichtmuseum

Es sei in diesem Zusammenhang noch erwähnt, daß gegenwärtig von der volkstümlichen Arbeitsstelle des Landschaftsverbandes Rheinland in Bonn eine Reihe von Dokumentarfilmen von einigen alten Handwerkszweigen gedreht werden. Mit Hilfe alter Meister wird hier versucht, jeweils alle Arbeitsvorgänge in ihren Einzelphasen zum Beispiel bei der Herstellung eines Bauernwagens oder eines Fasses festzuhalten. Wir müssen uns hierbei in den meisten Fällen schon an die Generation alter Meister wenden, die jetzt zwischen dem 60. und 80. Lebensjahr steht. Wenn wir darum nicht jetzt - in letzter Stunde - versuchen, die handwerklichen Zeugnisse in musealen Schutz zu nehmen und gleichzeitig deren Handhabung in Schrift und Bild festzuhalten, dann werden nur wenige Jahre vergehen, bis das Wissen um sie für alle Zeiten verloren sein wird.

Entnommen: Heimatkalender des Kreises Euskirchen 1964

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